Mittwoch, 17. September 2014

Ein spektakuläres Spektakel im Spektakel



Das letzte (und gleichzeitig einzige) farce vivendi open mic dieses Sommers war auch das erste nach der Sommerpause. Trotz eines sehr kurzfristigen Ortswechsels vom Celeste ins nicht einmal eine Gehminute entfernte Spektakel war es ein überdurchschnittlich gut besuchtes.

Die Münze, die als Orakel zur Bestimmung des einleitenden Eis brechenden Auftritts diente, war diesmal sogar älter als so manche Urgroßeltern des Publikums, sie stammte nämlich aus dem Jahre 1861. Sie fiel auf Kopf, somit musste MELAMAR als Moderatorin von der Bühne, um sogleich samt Textblatt als Autorin wiederzukehren. Sie las einen ganz neuen Text über das Schreiben. Auf philosophische Fragen wie „Wozu schreiben?“ oder „Was ist schreiben?“ folgte eine ebenso philosophische Antwort: „Ich lese, also schreibe ich“. Außerdem meldete sich die innere Spottdrossel zu Wort, worauf eine Katze als Mediatorin einschreiten musste.

Als Startnummer 1 wurde ein fv-open-mic-Neuling gezogen. THOMAS MAYER las je ein Gedicht aus seinen beiden Gedichtbänden („GE-MENSCH-TEN“ und „Phantasönlich“), die auch am Büchertisch auflagen. Im ersten ging es zurück in die Pubertät und das erste Schamhaar: Was wuchs denn da, oh wunderbar, jetzt bin ich richtig männlich. Nur für das alte Herz der streng gläubigen Mutti war das zu viel: Du Ferkel! Auch das zweite Gedicht drehte sich um ein körperbezogenes Thema, nämlich Blähungen: Wind-Verkehr so schwer.

Auf ihn folgte mit MIKE ein schon mehrfacher fv-open-mic-Teilnehmer, der wieder einmal mitsamt Gitarre auf die Bühne kam. Seine instrumentale Darbietung untermalte er hin und wieder mit einzelnen kurzen Sprecheinlagen, die den eigenen Auftritt betrafen und mitkommentierten.

Erstmals mit dabei war ANGELA, die Ehen als vom Aussterben bedroht ansah. Dabei wäre Vermählung ganz einfach: „Ich mailte ihm, schon sind wir vermailt“. Der Text sprang dann thematisch über die Jugend (Kopferbrechen in Mathe und „was andere tragen, war mehr Loch als Stoff“) bis hin zur Politik, für deren Dachschäden es eine Haftpflichtversicherung geben sollte.

Mit STEFAN PETER kam wiederum einer unserer häufigsten Auftretenden an die Reihe. Von ihm gab es zunächst einen Sketch-Dialog zu hören, in dem der AMS-Betreuer den Namen seines Gegenüber nicht aussprechen konnte und deswegen der Meinung war, sich mit ihm in gebrochenem Deutsch unterhalten zu müssen, damit ihn dieser verstehe (die Pointe wird an dieser Stelle nicht verraten). Auch der zweite Dialog betraf das Thema Arbeitssuche, diesmal war es ein Bewerbungsgespräch bei einem Esoterikklub, der einen sensitiven Gärtner suchte.

Musikalisch ging es mit WOLF MORRISON weiter, der neben seinem Keyboard auch noch einen prominenten Stargast auf die Bühne mitbrachte, nämlich Doctor Mouse, den ultimativen „Mr. Sex Appeal“, der in Sachen Sex-Appeal auch sämtliche Hollywood- & Musik-Stars von Brad Pitt über Britney Spears bis Sharon Stone übertraf. Nach diesem englischsprachigen Hit sang er dann in einem deutschsprachiges Lied davon, was es heißt zu leben.

Literarisch und musikalisch beendete wALTEREGOn die erste Hälfte. Er begann mit einem erotischen Liebestext über „Sie und Du und Ich“. Es ging um ansehen, betasten, riechen, fühlen und um vier Zahnreihen, die das zarte Fleisch zerteilen. Und die Bibel hat doch nicht recht – es waren sicher die Erdbeeren! Diesem Text folgte ein Lied über’s Leinen loslassen und Segel setzen. In dieser Stadt warst du doch noch nie zuhaus.

Danach wurde gemütlich pausiert.

Als Eisbrecher der zweiten Hälfte fungierte die zweite Hälfte des Moderationsduos, nämlich ANDI PIANKA. Er ging in seinem Text auf gewisse innenpolitische Ereignisse dieses Sommers ein, nämlich den kafkaesken Prozess gegen einen DÄMON-stranten, der es wagte, gegen den akademisierten WKR-Ball auf die Straße zu gehen. Und als der ihn belastende Polizist den Zeugenstand verließ, fuhr er dann mitsamt Panzer und 1700 KollegInnen zum kollegialen Pizza bestellen.  

GEORG HARLEKIN, derzeit allerregelmäßigster Teilnehmer an unserer Veranstaltung, war in seinem ersten Gedicht mit solcher Freude er selbst. Im zweiten Gedicht ging es um das Wachs auf seinem durchwachsenen Weg: Wachs ist knetbar und polierbar, somit manipulierbar. Im dritten, gesellschaftskritischen, Gedicht, in dem Jungefernscharen zum Liebe und Frieden machen aufrufen, war Gott am Ende irgendwie fad. Schließlich ein viertes, minimalistisches: Ich scherze nicht, ich herze dich.

Der mutmaßliche Rekordhalter an fv-open-mic-Teilnahmen seit Beginn (2007) ist CHRISTIAN „SCHREIBI“ SCHREIBMÜLLER. Er begann mit einem ernsten Text über Papa Tränengas und Mama Handgranate, deren wenigste Feinde schließlich erschießlich sind. Nach Opa Scharfschützgewehr („Granaten sind doch für Katakomben“) melden sich auch noch Kobaltbombe Clementine und Wasserstoffbombe Ruth zu Wort. Es ist alles eine Frage der Dosis. Im zweiten Text sprach der Wirtshausdichter, also der Herr Promillpoet. Da wurde Don Carlos zum Herrn Karl und Gräfin Ebola war keine Seuche zum Tod.

Extra aus Frankreich angereist kam JACQUELINE, die anfangs „très nerveuse“ war, dann aber doch sehr selbstsicher ein französisches Gedicht über das Leben („La vie“) vortrug. Dieses bestand u.a. aus Croissants, Baguettes, Camembert und viel Pastis. L’état c’est moi! Wie der Zufall es so wollte, wurde gleich nach ihr JOPA ausgelost, welcher in völliger Spontaneität dieses französische Gedicht simultan-zeitversetzt ins Deutsche übersetzte: Leben, Leben lang Brot Kipferl. Kam ein Bär. Rosa Rotwein passt schon. Die Azur kotzt.

Der schließlich letzte Auftretende des Abends war dann auch wieder ein schon häufiger Teilnehmer unserer Veranstaltungsreihe, nämlich WOLFGANG E. EIGENSINN. Zuerst forderte er das Publikum auf, bis 64 zu zählen, danach setzte es von ihm Ding Dong („Ist da jemand?“), Ping Pong und (Steve’s Freund, good old mister monster) King Kong. Damit ging nach 11+2 Auftretenden das 45. farce vivendi open mic zu Ende.

Die Premiere im Spektakel war ein sehenswertes Spektakel mit hochqualitativen Darbietungen. Dennoch wird das nächste fv open mic (Di, 21.Oktober) voraussichtlich wieder am üblichen Ort, nämlich zwei Häuser weiter westlich im Celeste stattfinden. Doch vielleicht wird uns in einigen Monaten der Westwind auch wieder ins Spektakel wehen...

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen