Das letzte (und gleichzeitig einzige) farce vivendi open
mic dieses Sommers war auch das erste nach der Sommerpause. Trotz eines
sehr kurzfristigen Ortswechsels vom Celeste ins nicht einmal eine Gehminute
entfernte Spektakel war es ein überdurchschnittlich gut besuchtes.
Die Münze, die als Orakel zur Bestimmung des einleitenden Eis
brechenden Auftritts diente, war diesmal sogar älter als so manche Urgroßeltern des
Publikums, sie stammte nämlich aus dem Jahre 1861. Sie fiel auf Kopf, somit
musste MELAMAR als Moderatorin von der Bühne, um sogleich samt Textblatt
als Autorin wiederzukehren. Sie las einen ganz neuen Text über das Schreiben.
Auf philosophische Fragen wie „Wozu schreiben?“ oder „Was ist schreiben?“
folgte eine ebenso philosophische Antwort: „Ich lese, also schreibe ich“.
Außerdem meldete sich die innere Spottdrossel zu Wort, worauf eine Katze als
Mediatorin einschreiten musste.
Als Startnummer 1 wurde ein fv-open-mic-Neuling gezogen. THOMAS
MAYER las je ein Gedicht aus seinen beiden Gedichtbänden („GE-MENSCH-TEN“
und „Phantasönlich“), die auch am Büchertisch auflagen. Im ersten ging es
zurück in die Pubertät und das erste Schamhaar: Was wuchs denn da, oh
wunderbar, jetzt bin ich richtig männlich. Nur für das alte Herz der streng
gläubigen Mutti war das zu viel: Du Ferkel! Auch das zweite Gedicht drehte sich
um ein körperbezogenes Thema, nämlich Blähungen: Wind-Verkehr so schwer.
Auf ihn folgte mit MIKE ein schon mehrfacher
fv-open-mic-Teilnehmer, der wieder einmal mitsamt Gitarre auf die Bühne kam.
Seine instrumentale Darbietung untermalte er hin und wieder mit einzelnen
kurzen Sprecheinlagen, die den eigenen Auftritt betrafen und mitkommentierten.
Erstmals mit dabei war ANGELA, die Ehen als
vom Aussterben bedroht ansah. Dabei wäre Vermählung ganz einfach: „Ich mailte
ihm, schon sind wir vermailt“. Der Text sprang dann thematisch über die Jugend
(Kopferbrechen in Mathe und „was andere tragen, war mehr Loch als Stoff“) bis
hin zur Politik, für deren Dachschäden es eine Haftpflichtversicherung geben
sollte.
Mit STEFAN PETER kam wiederum einer unserer
häufigsten Auftretenden an die Reihe. Von ihm gab es zunächst einen
Sketch-Dialog zu hören, in dem der AMS-Betreuer den Namen seines Gegenüber
nicht aussprechen konnte und deswegen der Meinung war, sich mit ihm in
gebrochenem Deutsch unterhalten zu müssen, damit ihn dieser verstehe (die
Pointe wird an dieser Stelle nicht verraten). Auch der zweite Dialog betraf das
Thema Arbeitssuche, diesmal war es ein Bewerbungsgespräch bei einem
Esoterikklub, der einen sensitiven Gärtner suchte.
Musikalisch ging es mit WOLF MORRISON weiter, der
neben seinem Keyboard auch noch einen prominenten Stargast auf die Bühne
mitbrachte, nämlich Doctor Mouse, den ultimativen „Mr. Sex Appeal“, der in
Sachen Sex-Appeal auch sämtliche Hollywood- & Musik-Stars von Brad Pitt
über Britney Spears bis Sharon Stone übertraf. Nach diesem englischsprachigen
Hit sang er dann in einem deutschsprachiges Lied davon, was es heißt zu leben.
Literarisch und musikalisch beendete wALTEREGOn die
erste Hälfte. Er begann mit einem erotischen Liebestext über „Sie und Du und Ich“.
Es ging um ansehen, betasten, riechen, fühlen und um vier Zahnreihen, die das
zarte Fleisch zerteilen. Und die Bibel hat doch nicht recht – es waren sicher
die Erdbeeren! Diesem Text folgte ein Lied über’s Leinen loslassen und Segel
setzen. In dieser Stadt warst du doch noch nie zuhaus.
Danach wurde gemütlich pausiert.
Als Eisbrecher der zweiten Hälfte fungierte die zweite
Hälfte des Moderationsduos, nämlich ANDI PIANKA. Er ging in seinem Text
auf gewisse innenpolitische Ereignisse dieses Sommers ein, nämlich den
kafkaesken Prozess gegen einen DÄMON-stranten, der es wagte, gegen den
akademisierten WKR-Ball auf die Straße zu gehen. Und als der ihn belastende
Polizist den Zeugenstand verließ, fuhr er dann mitsamt Panzer und 1700 KollegInnen
zum kollegialen Pizza bestellen.
GEORG HARLEKIN, derzeit allerregelmäßigster
Teilnehmer an unserer Veranstaltung, war in seinem ersten Gedicht mit solcher
Freude er selbst. Im zweiten Gedicht ging es um das Wachs auf seinem
durchwachsenen Weg: Wachs ist knetbar und polierbar, somit manipulierbar. Im
dritten, gesellschaftskritischen, Gedicht, in dem Jungefernscharen zum Liebe
und Frieden machen aufrufen, war Gott am Ende irgendwie fad. Schließlich ein
viertes, minimalistisches: Ich scherze nicht, ich herze dich.
Der mutmaßliche Rekordhalter an fv-open-mic-Teilnahmen seit
Beginn (2007) ist CHRISTIAN „SCHREIBI“ SCHREIBMÜLLER. Er begann mit
einem ernsten Text über Papa Tränengas und Mama Handgranate, deren wenigste
Feinde schließlich erschießlich sind. Nach Opa Scharfschützgewehr („Granaten
sind doch für Katakomben“) melden sich auch noch Kobaltbombe Clementine und
Wasserstoffbombe Ruth zu Wort. Es ist alles eine Frage der Dosis. Im zweiten
Text sprach der Wirtshausdichter, also der Herr Promillpoet. Da wurde Don
Carlos zum Herrn Karl und Gräfin Ebola war keine Seuche zum Tod.
Extra aus Frankreich angereist kam JACQUELINE, die
anfangs „très nerveuse“ war, dann aber doch sehr selbstsicher ein französisches
Gedicht über das Leben („La vie“) vortrug. Dieses bestand u.a. aus Croissants,
Baguettes, Camembert und viel Pastis. L’état c’est moi! Wie der Zufall es so
wollte, wurde gleich nach ihr JOPA ausgelost, welcher in völliger
Spontaneität dieses französische Gedicht simultan-zeitversetzt ins Deutsche
übersetzte: Leben, Leben lang Brot Kipferl. Kam ein Bär. Rosa Rotwein passt
schon. Die Azur kotzt.
Der schließlich letzte Auftretende des Abends war dann auch
wieder ein schon häufiger Teilnehmer unserer Veranstaltungsreihe, nämlich WOLFGANG
E. EIGENSINN. Zuerst forderte er das Publikum auf, bis 64 zu zählen, danach
setzte es von ihm Ding Dong („Ist da jemand?“), Ping Pong und (Steve’s Freund,
good old mister monster) King Kong. Damit ging nach 11+2 Auftretenden das 45.
farce vivendi open mic zu Ende.
Die Premiere im Spektakel war ein sehenswertes Spektakel mit
hochqualitativen Darbietungen. Dennoch wird das nächste fv open mic (Di,
21.Oktober) voraussichtlich wieder am üblichen Ort, nämlich zwei Häuser
weiter westlich im Celeste stattfinden. Doch vielleicht wird uns in einigen
Monaten der Westwind auch wieder ins Spektakel wehen...