Dienstag, 17. Februar 2015

Das goldene Jubiläum


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 Traditionellerweise ist der Februar der farce-vivendi-open-mic-Geburtstagsmonat, diesmal war es wahlweise der erst in den Kinderschuhen steckende 8. Geburtstag (nämlich an Jahren seit dem ersten Mal), der jungerwachsene 30. (nämlich an der von melamar und Andi Pianka gemeinsam moderierten Zahl an Veranstaltungen aus dieser Reihe) oder der bereits reife 50. (nämlich an der Zahl an fv open mics bisher insgesamt). Dieses Dreifachjubiläum wollte sich kaum jemand entgehen lassen – und so gab es die seit Jahren höchste Zahl an Anmeldungen, nämlich 16 (wovon wir – gemäß unserer bewährten „alle kommen dran“-Regel – natürlich auch alle auftreten ließen). Damit aber alle (Auftretende wie Publikum) noch mit den "Tages-Öffis" heimfahren konnten, feierte nach langer Zeit die Bühnenuhr ihr Comeback. Diese dient (im Unterschied zu Poetry Slams) nicht einem Vertreiben von der Bühne nach exakt 5 Minuten, sondern einer Orientierung für die KünstlerInnen, wie weit ihre Auftrittszeit fortgeschritten ist. Und sie erfüllte ihren Zweck: Kein Beitrag dauerte länger als 7-8 Minuten, wodurch trotz Rekordzahl an Auftretenden die Veranstaltung sogar etwas früher endete als die letzten Male und somit im Anschluss noch genug Zeit für Unterhaltungen im Barbereich blieb. Doch drehen wir die Uhr um 3 Stunden zurück, zum Beginn dieses Jubiläumsabends, als...

...nach der Begrüßung des Moderationsduos eine alte 50-Groschen-Münze auf Wappen fiel und somit MELAMAR zur ersten Eisbrecherin des Abends bestimmte. Ihr ganz frischer Text drehte sich zuerst um ihr Leben (das ein Wachsen und ein aus dem Schneckenhaus Herausleben ist) mitsamt der Erkenntnis „nur in der Leere ist Platz für die Fülle“ und dann um das Leben des fv open mic (dessen Leben ein Biologe wohl verneinen würde): „Wir passen deshalb zusammen, weil wir einander ergänzen, einander nähren und niemandem seine Einzigartigkeit verwehren“.



MARK, fv-open-mic-Debütant, bekam gleich die Startnummer 1 zugelost. Elektronisch waren dabei sowohl sein texttransportierendes Mittel (ein Handy) als auch die Hauptfigur des Textes, sein im hohen Alter von 12 Jahren dahingeschiedener „Texas Instrument“ – ein Taschenrechner, der in den Schützengräben der Mathematik ein Held war und in der Schultasche einen besonderen Platz neben MP3-Player, Flachmann und Kugelschreiber hatte: „Ich werde dich vermissen“.


 Der Auftritt von MIKE HOFER war der einzige Beitrag dieses Abends, an dem ein Musikinstrument (nämlich eine Gitarre) mitbeteiligt war. Er sang vom ehrlich sein: „Bled ehrlich oder ehrlich bled?“  Doch eigentlich wollte er, wie er meinte, „ganz was Anderes singen“, und ließ sich von der mittlerweile bei 4 Minuten stehenden Uhr für seine letzte Auftrittsminute zu einem „eine Minute zu früh oder zu spät“ inspirieren. 



HARRY P war in seinem ersten Text der Zuhörer, dem aber Lotte, Erwin, Gustl und Franz, die ihm ihre Probleme schildern, langsam auf die Nerven gehen. Am Ende entpuppte sich dieser „Zuhörer“ allerdings als ein sehr tierisches Lebewesen. Im zweiten Text waren zwei Seegurken nicht willig, zwei Salzgurken zu helfen. Und im dritten versuchte der tröstende Freund eines Krebskranken, in dessen Testament als Erbe vermerkt zu werden.





CHRISTIAN SCHREIBMÜLLER, mutmaßlicher fv-open-mic-Rekordteilnehmer in den bisherigen 8 Jahren und an diesem Abend für uns auch als unermüdlicher Fotograf tätig, tauschte als folgender Auftretender für 5 Minuten seinen Fotoapparat gegen das Rampenlicht der Bühne und ging in seinem mit „Yes, sir, no, sir“ beginnenden Text auf unterschiedlich höflich formulierte Sprache ein: „Excusez-moi, Sie unnötiges Weh“ und „Die Kultur is a a Hur“.


AÑA fing mit einem Rätsel („Geht mal langsam, mal schnell...“) an, welches das aufmerksame Publikum erfreulicherweise zu lösen in der Lage war. Ihr längerer zweiter Text („Wo liegt dein Süden?“) handelte von den Unterschieden zwischen dem Leben kurz nach der Matura und jenem als Kind, so sah z.B. die Umgebung die mit 5 geäußerten Berufswünsche positiver als jetzt („brotloses Abrackern für kaum Geld“). Auch das Ausborgen von Mamas Kleidung führt zu anderen Reaktionen als früher. 

Erstmals dabei war COSMUS, der zuerst viel auspackte, um dann sein 156-seitiges Buch der Schwingung mit 62 Tagebucheinträgen zu präsentieren (sein Basiswerk, von dem sich alles Andere ableiten ließe), aus dem er kurze Ausschnitte vorlas, in denen (so wie auch im gesamten Buch) das Wort „Schwingung“ überaus omnipräsent war. In kurzen Passagen eines anderen Tagebuchs schafften immerhin auch andere Wörter (wie z.B. Fieber, Struktur und Energie) eine Präsenz. 




MARLIES THUSWALD, nach einem Auslandssemester in Serbien erst seit 3 Tagen wieder zurück, gab ihr fv-open-mic-Comeback mit einem Grenzerfahrungstext, der viel mit eben diesem Semester zu tun hatte bzw. mit dem endlos scheinenden stundenlangen Warten an der Grenze, bis man auf der anderen Seite ist: „Verehrte Grenze – du bist von gestern!“  Doch irgendwann öffnet sie sich endlich („Der Bus bringt mich endlich zu dir hin!“) und man kann die Ankunft richtig schmecken. 






Den Abschluss der ersten Hälfte bildete THOMAS MAYER, der (nach einer kurzen Einführung zum Thema Klarträume) aus seinem Traumtagebuch vorlas. Dieser Traum begann mit einem Telefonat mit einem Ex-Kollegen, der ihn, als im 22. Bezirk wohnenden, für „von außerhalb“ hielt, ging mit einem nackten Hermes Phettberg weiter, der fragte, ob er jetzt baden könne und endete mit vier Frauen, die (alle oben ohne) meinten, er könne jetzt anfangen (mit der Brustkrebs-Vorsorgeuntersuchung nämlich).


Nun ging es in die Pause.

Zweiter Eisbrecher war ANDI PIANKA, der 12 Kurz- und Kürzestgedichte (mitsamt einigen kurzen Kommentaren zu ihnen) in nur 3 Minuten unterbrachte. Ein vierzeiliger eseliger Kreuzreim war ebenso dabei wie Gedichtformen aus aller Welt (Haiku, Limerick, Ghasel) und Anspielungen auf Goethe, Schiller, Bach und Schubert. Zum Schluss gab es noch die Unvollendete in Form eines „Poem interruptus“.

STEFAN PETER präsentierte als Teil 3 seiner „Selbstmordtrilogie“ ein Reisebüro, das verschiedene Einwegreisen ins Nirvana anbot, die vom Kunden Sepp allesamt hinterfragt wurden (z.B. bei der katholischen Route, ob es bezüglich Scheiterhaufen nicht feuerpolizeiliche Probleme geben würde).  Am ehesten gefiel ihm noch die vierte (romantische) nach Hawaii. Kafka hingegen kenne er nicht („Hat er Reiseführer verfasst?“) 



GEORG HARLEKIN (der von den letzten 17 fv open mics nur ein(!) Mal nicht dabei war und somit Teilnahmerekordhalter der jüngeren Zeit ist) brach mit seiner Tradition, drei Gedichte zu lesen. Diesmal waren es derer nur zwei: Eines über Wut im Bauch („Spürt ihr das etwa auch?“) und den Wunsch nach Frieden („Macht Musik und lasst uns tanzen – ich hab genug vom Suchen der Abhörwanzen“) und einen Tanz der Worte, zu dem u.a. ein Siebenschläfer laut aufruft. 






JOPA präsentierte Vulgäres mit Edding und Salz: „Steck deine Nase nicht in fremde Hasen – Nas ist auch nur ein Anagramm von NSA“. Ein Onanierenspender kam ebenso vor wie L1 (ein Abschnitt seiner Wirbelsäule). „Ich übertreibe mit dem Feiern, mit dem Blödsinn, mit der Kunst“. Nach dem dreimonatigen Pökelprozess der Lebendniere in Salzkruste bildete dann eine Live-Verspeisung seines frisch gesalzenen letzten Textblatts den Höhepunkt seiner Darbietung. 




GERHARD, der auf seine letzte S-Bahn ins nördliche Weinviertel angewiesen ist, wurde deshalb – wie auch schon bei seinen beiden bisherigen Auftritten – außerhalb der gelosten Reihenfolge vorgezogen. Ein erster Text handelte vom Folgen falscher Ideale, ein zweiter vom „Opfer nur von meinem Neid“ und der dritte schließlich war ein (auf die aktuelle Lage in Griechenland bezogenes) Metaphermärchen über einen Fischer, der von der Küstenwache eine Pumpe für sein leckes Boot bekommt, die ihm aber nicht wirklich hilft. 

wALTEREGOn nahm ebenfalls auf aktuelle Ereignisse Bezug und setzte sich mit ihnen auf eine humoristische Art und Weise auseinander. Sein „bester“ Plan („Mama, geb mir einen Gürtel!“) war ein Bonbonattentat. Im Ausbildungslager hätte er Schwedenbomben zu bauen gelernt und unter Schleiern aus rosa Zuckerlpapier in den Lauf der Kalaschnikow Rumkugeln gesteckt (seine dazugehörige Performance löste dann übrigens ein kleines „Attentat“ an die am Lesetisch liegenden Literaturzeitschriften*) aus).

In der Pause spontan angemeldet und erstmals mit dabei war NEVI. Nicht als einzige an diesem Abend verwendete auch sie ihr Handy als moderne Form des Textblatts. „Erzähl mir nicht, dass es draußen regnet“ – so begann ihr Text, der um optimistische Sichtweisen der Dinge anstatt der pessimistischen ersuchte. Um das Erzählen vom Aufspalten der Tropfen und von Träumen solle es gehen anstatt um das Erzählen über Müdigkeit und die Schmerzhaftigkeit der Infusion. 





MARTIN BACHLER hat sich früher gegen das Reimen gewehrt, doch nun reimte er rappend von Dingen, die swingen – auf der Suche nach der adrenalinaufgeladenen Show. „Ich will Herkules statt Rommel“, meinte er und setzte sich kritisch mit dem Soldatendasein auseinander. „HipHop ohne Stopp, ohne Komma“ – es ginge ihm nicht um melancholerische und traurige Poesie, sondern um einen Schrei aus der Urzeit. Seine Darbietung beendete er mit einer „Ego-Explosion“. 



Last, but not least kam schließlich MICHAELA HINTERLEITNER zu ihrem Auftritt. In ihrem ersten Text war sie bekennende Stapelbauerin und „Fly woman“ („Ich darf jedem in die Suppe spucken!“), im zweiten wachten Insekten auf, im dritten liebte sie die Räder und die Mechanik – und den Abschluss bildete eine liebevolle Hommage ans fv open mic mitsamt Publikumsbeteiligung („like a dandy...farce vivendi...süß wie candy...farce vivendi“), was ein sehr würdiger und passender letzter Akt dieses Jubiläumsabends war. 

Danke ans zahlreiche Publikum, das trotz Faschingsdienstags (und somit vieler anderer Veranstaltungen) den Weg zu uns fand.

Danke an Christian Schreibmüller fürs fotografieren!


                 
Danke an Andi Pianka fürs Verfassen dieses Berichts! 









Und zur Auflösung des *) von weiter oben: Danke an die zur Verfügung gestellten Ausgaben der Literaturzeitschriften DUM sowie &Radieschen, von denen sich alle Auftretenden eine mitnehmen durften. 




Und da die die Auftritte begleitende Bühnenuhr auf überwiegend positive Resonanz stieß, wird sie voraussichtlich auch beim nächsten Mal wieder zum Einsatz kommen, welches am 17. März wieder im Spektakel stattfinden wird, wenn das farce vivendi open mic zum nunmehr 51. Mal zum mitmachen und zum zuschauen einladen wird.









Alle Fotos auf dieser Seite stammen von Christian Schreibmüller. Zum vergrößern der Bilder auf dieselbigen klicken.


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