Der Eurovision Song Contest ist vorbei, somit ist ganz Wien
wieder im farce-vivendi-open-mic-Fieber. Und während der ESC nun nach
Schweden weiterwandert, bleibt das fv open mic auch in Hinkunft Wien treu (auch
wenn es seine Tätigkeit auf das ganze Universum ausstreckt).
Auch diesmal konnten wir wieder eine Quadratzahl an
Auftretenden begrüßen, alle neune nämlich. Doch den Anfang machte als Eisbrecher
ANDI PIANKA, der zum Jahrestag seiner Ankunft in Wien einen Text zu eben
diesem Thema las. Der Südbahnhof („Treffen wir uns beim Löwen!“) kam ebenso vor
wie die Gumpendorfer Strabe oder die nicht mehr existierende U2-Station
Lerchenfelder Straße mitsamt einem dort geschossenem Selfie aus dem Jahre 2003.
GEORG HARLEKIN triptychierte in guter, alter
Tradition. Sein erstes Gedicht („Sommerregen“) handelte von Erinnerungen an
sein früheres Malen (der Geruch von Ölfarben, eine Flasche Wein danach etc.).
Im zweiten Gedicht ging es um den Moment als Baustein der Zeit: Sperrstund
ist’s für Katastrophenmeldungen. Und zum Schluss die Überraschung: Das letzte
Gedicht stammte aus..............
...................dem soeben erschienenen ersten Buch des
Autors. Wir gratulieren!
MARLIES THUSWALD nahm nach eigener Zählung zum
zehnten Mal an einem fv open mic teil (was mit der Statistik des Autors
dieser Zeilen auch übereinstimmt) und setzte zu diesem Jubiläum zu einem
„Highscore“ an, wodurch im „Tetris-Nirvana“ ein neues Level erreicht wurde. Es
folgte der Traum eines Quadrats („Ich bin ein eckiger Kreis“) über Asymetrien
als Disharmonien, als dritter Text dann eine Fata Morgana to go („Die
Wüstenfrau schenkt mir ein Lied gegen den Durst“) und schließlich ein
Worteflüstern („Grazil entfaltest du vor mir die Welt als Origami-Spiel“).
DOKTOR RAFAEL (der bei uns auch schon unter anderen
Namen aufgetreten ist) hielt ein Referat über Schimpfgeburten („Raviatis
rhetoris natalis“), also Individuen, die chronisch schimpfen. Er erwähnte prä-
und postnatale Sozialisationskriterien und brachte das Fallbeispiel von Heinz,
32 (Name geändert), den ein interdisziplinäres Team (Neurologe, Neurotiker,
Psychologe, Tanzlehrer) behandelt. Und die WHO ist nicht mit der Band „The
Who“ zu verwechseln. Seinen Vortrag hielt er übrigens als
Dauerschleifen-Experiment, dessen Ende durch das (vom Auftretenden nicht
ungewollte) Einschreiten des Moderationsduos besiegelt wurde.
MANUEL RAMOS MARTÍNEZ (auch nicht das erste Mal bei
uns) brachte drei spanische Gedichte, zu denen MELAMAR die deutschen
Übersetzungen las. Im ersten („Sueños“) ging es um Träume, die neue Träume
gebären. Das zweite („Escala cósmica“) handelte von seiner Heimat Chile, dortigen
Geisterstädten, verwunschenen Tälern („Wo die Kinder Erde kosten, als wär’s
Kandiszucker“) und Schiffssirenen, welche die Stadt wecken. Das dritte Gedicht
war eine Aufforderung zum Schreiben: Schreibt Verse auf die Blätter der Bäume,
denn die gefangenen Verse sind eine Qual!
WOLF MORRISON kam (so wie meistens) in Begleitung
eines Musikinstrumentes auf die Bühne, diesmal war es eine Gitarre. Beide
Lieder handelten von der Liebe zu einem „Du“. Im ersten war das Du grantig und
sudernd, obwohl ihr das Ich die Welt zu Füßen legt. Da hätte das Ich gleich in
einem Kloster meditieren können. Das zweite Lied („Paradies“) beschrieb einen
kurzen Augenblick des Glücks in einer langen und verregneten Nacht in einem im
Grunde sonst ziemlich miesen Leben. Nach diesem Auftritt ging es dann in die
Pause...
...nach welcher dann MELAMAR (deren neue Texte aus
den zwei Kategorien „zu privat“ und „nicht fertig“ bestehen) mit einem älteren
Text die zweite Hälfte des Abends einleitete. „Schaltet die Zikaden stumm“,
erschienen in einer dfw-Anthologie, handelt von Europa und diversen Geräuschen:
Technoparties ohne Techno, Hunde- und Wolfsgebell oder dem Gesang der
Nachtigall in Dolby Surround. Freiheit und Gleichheit – was du auch willst, sei
dir gegeben. Die zärtlichkeitsbedürftige Raubkatze nennt mich einen schrägen
Vogel. Das ist Europa.
THOMAS MAYER las ebenfalls bereits (in seinen beiden
Büchern) veröffentlichte Texte, nämlich zwei Liebesgeschichten. Die erste geht
nicht gut aus: Die Doris wollte von ihrem Freund mehr Romantik, doch dieser
kaufte ihr erst Blumensamen statt eines Blumenstraußes, dann einen Hasen, damit
sie aus ihm Hasenbraten macht, und schließlich ein Kleid in Übergröße. Die
zweite Geschichte geht hingegen gut aus. Als sich der Skinhead David beim
Versuch, ein Asylantenheim niederzubrennen, in Fatima verliebte, war der Stolz
auf das Vaterland wie weggeweht.
MAX WULLY, erstmals beim fv open mic dabei, freute
sich, im Unterschied zu Poetry Slams einen Freund auf die Bühne mitbringen zu
dürfen, nämlich einen Waschbären, für den er keinen Babysitter fand und mit dem
er bauchredend auf der Bühne über Literatur diskutierte: Du mit deiner
After-Poesie! Scheiß auf Goethe! Genug mit Busch! Da durfte auch die Bürgschaft
nicht fehlen: Was wolltest du mit der Bratwurst, sprich! Dem folgte noch ein
ernsterer Text über die Münder dieser Welt, von denen manche Schnitzel und
andere Schläge bekommen.
MIKE HOFER musste zuerst schauen, ob seine Gitarre
„noch stimmt“, dann legte er mit einem Lied los, welches ihm vor zwei Tagen
eingefallen war. Es ging um die Freude am Trinken und am Rauchen, das man aber
selten allein versuchen sollte, weil allein saufen depressiv macht und allein
kiffen deppert. Dem folgte ein zweites Lied („a schene Nummer von an Freind, a
guater Gitarrist“) darüber, dass es wichtig ist, dass man lebt, und über das
alleine unterwegs sein.
THOMAS war der letzte Auftretende des Abends. In
seinem Text setzte er sich mit der soeben stattgefundenen ÖH-Wahl auseinander.
Die Wahlkabine erinnerte ihn an eine Herbergstoilette. In der Wahlwerbung ging
alles nur um anti- (außer antialkoholisch). Das Motto „eat the rich“ taugte ihm
nicht, denn die Reichen wollte er nicht essen – lieber einen Apfel, die sind
wenigstens alle Transgender. Bei diesem Wahlfang fühlte er sich an einen
Walfang erinnert. Noch egaler war ihm da nur noch der schwedische Sieg beim
Song Contest.
Womit wir nicht nur beim Ende der Veranstaltung,
sondern auch wieder beim Song Contest angelangt wären. Der nächste findet wohl
im Mai 2016 statt, das nächste fv open mic hingegen viel früher, nämlich schon
am 16. Juni 2015. Es wird das letzte des heurigen Schuljahres bzw. vor
der Sommerpause sein.