Am Vorabend jenes Tages, an dem der zweite Teil der
Film-Trilogie „Zurück in die Zukunft“ spielt, kamen in den Beiträgen des 56. farce
vivendi open mic alle möglichen Zeiten vor (die Zukunft wie die Gegenwart
und wie die Vergangenheit).
Die Schillingmünze aus dem Jahr 1985 (dem Jahr, in dem
„Zurück in die Zukunft“ startet) entschied sich für MELAMAR als erste
Eisbrecherin. Sie brachte einen Text namens „Damaszener Träume“, in dem sie
sich daran erinnerte, wie sie – inspiriert durch die Geschichten aus 1001 Nacht
– als 9jährige von einer Damaskus-Reise träumte, weil es dort die besten
Zuckerbäcker der Welt geben würde. Sie wurde milde belächelt, doch drei Jahrzehnte
später fing (2012) ausgerechnet in jenem Zuckerbäckerstadtteil (Al-Midan) der
syrische arabische Frühling an. Wird wieder eine Zeit kommen, in der man an Süßigkeiten
denkt, wenn der Name Damaskus fällt?
Das Los mit der Nummer eins war eines, das auf den Namen MIKE
HOFER lautete. Er betrat – so wie auch sonst immer – wieder einmal in
Begleitung einer Gitarre die Bühne. Ein neues Lied über „a destination that I
wanna reachin’“ brachte er dem Publikum dar – wie üblich untermalt durch kurze
Zwischenkommentare und rein instrumentelle Passagen. Die langsam ablaufende
Zeit kommentierte er spontan mit einem „just thirty seconds left“ und verließ
sodann – wie alle anderen Auftretenden – mit einem Feribord die Bühne.
GEORG HARLEKIN zog sodann als Glücksfee gleich sich
selbst. Sein erster Text handelte von Flüchtlingen, die alles verloren haben,
und deren Menschenwürde. Im zweiten ging es um die Liebe und darum, was sie
alles möchte (atmen, kommen, gehen, wachen, mit dir schlafen,...). Liebe liebt
einfach Musik. Liebe atmet Liebe und gibt mit Liebe Liebe. Im dritten Text ging
es um Frieden: Hey Man! You
man! Yes we can! What?! Don’t close your eyes to the problem. Unsere Welt: noch
immer nicht verarztet, ich meine verbunden.
Unser “Urgestein” CHRISTIAN SCHREIBMÜLLER erzählte
über den Caruso von Rodaun, der es an jedem Freitag Nachmittag immer wieder
angeht, in die Schellbahn einsteigt und in Breitensee wieder aussteigt. Dort im
Wirtshaus gibt’s zwar mittlerweile einen vom Balkan stammenden Sänger, bei dem
er manchmal mitsingt („I mach nur noch, was i kann“), aber früher, da hätte er
selber „an der Oper gastiert, in Laa an der Thaya gar triumphiert“. Auch wenn
er Fiedler heißt, so war er doch der Caruso von Rodaun.
Erstmals beim fv open mic mit dabei war ALEXANDER
BIEDERMANN. Unter dem Titel „Less home“ gab es von ihm einen Text über sehr
aktuelle Themen und Fragen zu hören: Wo wohnst du? Wo schläfst du? Wo trinkst
du? Wo isst du? Wo wäschst du dich und wo deine Wäsche? Wo legst du dein Zeug
hin und wo deinen Hut? Wer gibt dir den Frieden, nicht rastlos zu sein? Wie
hast du es bis hierher geschafft? Der Text mündete schließlich in folgende
Bitte: Ich bitte euch: Steht auf und bereichert dieses Land!
MARLIES THUSWALD las ihre Fabel „Der Zaunkönig“. Im
Land der goldenen Sterne auf blauem Grund hatten alle Menschen eingezäunte
Grundstücke. Das fanden die Kinder langweilig und versuchten, durch Spiele die
Zäune zu überwinden, während sich die Erwachsenen noch höhere Zäune wünschten.
Die Kinder beschlossen, es selbst mal anders zu machen. Und 50 Jahre später
konnte man einfach über die Wiese gehen. Doch auf einmal sah man „andere“ Leute
auf der Straße. Erst wurden sie eingeladen, doch dann, als es immer mehr
wurden, beschlossen die nun erwachsenen Kinder von damals, wieder Zäune zu
errichten.
Die erste Hälfte beendete (nicht zum ersten Mal) WOLF
MORRISON. Er erinnerte an den 26.10.1965, an dem die damals 16jährige
Sylvia Likens nach jahrelangem Martyrium durch ihre Ziehmutter ermordet wurde.
Schrei nur, kleine Sylvia. Du kannst schreien, doch es is ihnen wurscht. Deine
Schreie nimmt keiner wahr. Wir baden di in siedend heißem Wasser. Das nächste
Spiel heißt: Menschlicher Aschenbecher. Deinen Nachbarn ist das wurscht.
Irgendwann hat sie’s nimmer geschafft. Plötzlich war’s den Nachbarn nimmer
wurscht.
Bevor es in die Pause ging, erinnerte das Moderatorenteam an
Angela, die 2014 und 2015 öfters am fv open mic teilgenommen hat, vor allem aber auch eine engagierte Kämpferin gegen Kindesmissbrauch war (u.a. Organisatorin der Langen Nacht gegen Gewalt und Missbrauch) und
Ende September leider von uns gegangen ist. R.I.P.
Den zweiten Eisbrecher gab ANDI PIANKA mit einem
schon älteren Text, der nicht auf den gerade zu Ende gegangenen, sondern auf
den vorigen Wiener Wahlkampf (2010) Bezug nahm. Damals plakatierte ja der
dracularisierende Zahntechniker „Mehr Mut für unser Wiener Blut!“ Da hilft es
aus Sicht des Autors nur (wenn man nicht so tief fällt, dass man Blutgruppe HC
negativ hätte), statt blutrünstig urinbrünztig zu sein und das Wiener Blut mit
Urin zu untermalen, somit: Mehr Urin für unser Wien!
LAPIDAR (nach seiner Premiere letztes Mal zum zweiten
Mal dabei) machte zuerst Werbung für sein Konzert am folgenden Tag im Cafe
Concerto, bevor er dann zwei Lieder zum Besten gab – ein Cover und ein eigenes.
Das erste davon war wieder
„The Story“ von Brandi Carlile: So many stories of where I’ve been and how I
got to where I am. But these stories don’t mean anything. Die zweite
Eigenkomposition beinhaltete u.a. einen “Comeback way” mittels eines "close your eyes" und "find the way".
FRANK OZ (erstmals bei uns) wurde um 3 in der Nacht
munter, worauf er zur After-Hour ins Cafe Carina fuhr, mit dem Text begann und
ihn im Cafe Concerto fertigschrieb. Dieser heißt „Frühbisspätgedanken“ und
handelt von seinen Erlebnissen in jener Nacht, z.b. unter seinem Arsch rollende
Billardkugeln (undercover) oder in seinem Kopf tanzende Fälle (overload). Anstoß
ganz zwanglos. Von fruchtlos zu furchtlos. Lichtlos zu pflichtlos. Vom Schein
zum Sein. Als eine Art Zugabe sang er noch das Lied „Sassafras Roots“ von Green
Day.
Der Text von THOMAS handelte (diese Geschichte
erzählt die Mama ihrem Kind Kevin-Jacqueline) von Albert, dem Alpaka, und Lana,
dem Lama. Albert (alles andere als alltäglich) wird von den anderen
Alpaka-Kindern wegen seiner Ablehnung von Alliterationen schikaniert. Irgendwann
flieht er und wird von amerikanischen Touristen mitgenommen. Doch als sie Witze
über Albert Luther King reißen, läuft er auch ihnen davon. Da trifft er Lana:
lasziv, lüstern, mit einem Lama-Lächeln. Sie verlieben sich und nennen ihr Kind
Mozart. Und wie viel wiegt eigentlich ein Eisbär? Genug, um das Eis zu brechen!
Erstmals mit dabei und dafür gleich mit einer Kiste
ausgestattet war HOFRAT KRAMURI, der eine naturnahe Geschichte erzählte:
Nebel, nasses Laub, Waldweg Richtung Neuwaldegg. The 1st cow makes moo. The 2nd cow: Wow, I’m a
cow! The 3rd cow: sounds like a first abstracte picture was a Kuhflade. Reife
Zitronen sind gelb – und das ist gut so. Blaue Zitronen sind keine Zitronen –
es könnten Zwetschken sein. Die Prise Zuckerwatte schenk ich meiner Hängematte.
Poesie! Sein Vortrag wurde von einer unglaublichen Anzahl an dazupassenden
Requisiten aus seiner Kiste untermalt.
Nach längerer Zeit wieder einmal da war RONNI. Er
nahm Ernst Jandls berühmtes Gedicht über das velwechsern von lechts und rinks
als Inspiration für die Verarbeitung seiner Erlebnisse bei einer Burschenschafter-Veranstaltung
(eine für ihn als sonst in weit linken Kreisen verkehrenden doch sehr
außergewöhnliche Erfahrung): Egal, ob links oder rechts, ich hab gegrüßt.
Blicke, die mir bekannt aus linken Räumen waren. Im Übermut geführt zu dieser
Brut. Egal, ob radikal... Die Tür zum Herz geht auf und zu.
Einen weiteren fv-open-mic-Neuling durften wir mit MICHAEL
SCHAFFLER begrüßen. In seiner frei erfundenen Biographie von einem Freund
sollten zwar auch Stephen Hawking, Muhammad Ali, John Wayne und Eddie „The
Eagle“ Edwards vorkommen, aber vor allem ging es um ein Aufwachen (nackt,
einsam) in der Wohnung seines Bruders, ohne zu wissen, wie man angesichts einer
verschlossenen Wohnung überhaupt reingekommen war. Ein Gefühl wie bei Gregor
Samsa. Doch zum Glück stubste ihn die Oma von der Seite: Ein Stück Kuchen? Und
somit war dieser Traum zu Ende.
Schlußendlich betrat ANGYAL GYULA die Bühne, der
sogleich meinte, kein Deutsch zu sprechen, aber sich dennoch beider Mikrofone
bemächtigte – als Rockstar, der sich seine Lieblingsmusen am Oberarm tätowieren
hat lassen. Seinen Text „Ich französiere“ las er zweisprachig
(ungarisch/deutsch) bzw. fast dreisprachig (die Aussprache des Französischen
imitierend), wobei der Titel auf ungarisch auch ein Wortspiel ergab, das mit
oralen Sexualpraktiken zu tun hat. U.a. kam die Erkenntnis vor: Das Ziel im
Wiener Wahlkampf ist nicht die Parteifarbe, sondern der Einfluss. In der
dunklen Hose ist der Einfluss gold.
Somit ging auch dieses fv open mic zu Ende. Der Autor dieser
Zeilen entschuldigt sich für die ungewohnte einwöchige Verspätung, was das
Verfassen dieses Berichtes betrifft (die v.a. in seiner Teilnahme an der österreichischen Poetry-Slam-Meisterschaft
letztes Wochenende in Innsbruck begründet ist, welche die grandiose Lisa Eckhart gewonnen hat).
Wir sehen uns am 17. November im Spektakel wieder. Am Wochenende
davor können aber alle am selben Ort (also Spektakel) zu den Vorrunden der
Wien-NÖ-Slam-Meisterschaft schauen, wo an einer davon (13.11., 21 Uhr) der Autor dieser Zeilen auch
selber teilnimmt.