Ob Jubiläum oder nicht – das nichtjubilarische farce
vivendi open mic im März kam ebenso wie das jubilarische im Februar auf die
stolze Zahl von 16 Teilnehmenden (in diese Zahl sind die beiden eisbrechenden
Moderierenden noch gar nicht mal miteinberechnet). Mittlerweile ist unsere
Veranstaltung so berühmt, dass auf Basis unserer Termine die Bundesregierung
ihre Termine für Steuerreformbeschlüsse festlegt. Sogar der Song Contest wird
in großer zeitlicher Nähe zum fv open mic stattfinden. Aber halt, da wären wir
schon im Mai. Nein, bleiben wir vorerst mal im März – und zwar beim Rückblick
auf den 17.3.
Das Eisbrecherorakel, diesmal eine irische 2-Euro-Münze
(passend zum St.Patrick’s-Day an jenem Tag) wollte nicht auf die harfige
Rückseite fallen und erklärte damit ANDI PIANKA zum ersten Eisbrecher.
Dieser las zuerst ein älteres Gedicht über die Geschmacksrichtung Umami (im
„& Radieschen“ Nr. 3 erschienen) und daraufhin einen neuen Text über die
Schnee produzierende Großkapitalistin Frau H. (erscheint im aktuellen „&
Radieschen“ Nr. 33, welches am 19.4. im Cafe Anno präsentiert werden wird).
MARTIN AUER, erstmals seit langem wieder dabei, las
drei Dialoge aus seiner Gschisti-und-Gschasti-Serie. Im ersten wird man
aufgefordert, sofern man für die Schwerkraft ist, sich einer Massenbewegung zu
ihrer Verteidigung anzuschließen („Wer nicht für sie ist, ist gegen sie!“), im
zweiten um die Notwendigkeit eines Werbebudgets, wenn man in der Masse nicht
untergehen will, und im dritten möchte Gschasti nicht ausschließen, Gott zu
sein. Gschisti allerdings genauso wenig.
Auch der konsequente Triptychonist GEORG HARLEKIN
brachte – seiner Tradition gemäß - drei Texte. Im ersten Gedicht ging es um der
Schöpfung Wellen, die auf sie folgende Stille („Still ist sie jetzt, die See der
Schöpfung“) und neue Wellen, die neues Leben erwachen lassen), im zweiten um
minimalistische Sichtweisen („Staube nicht, erlaub es, glaub ans Licht (...)
Ich scherze nicht, ich herze dich!“) und im dritten um den Frühling, der zu
neuen Ufern führt („Auf, auf, ein neuer Tag!“)
CHRISTIAN SCHREIBMÜLLER pimperte sich in seinem Text
als Poet mit James-Joyce-Stick bis nach Saloniki hinunter, wo die Empfangsdamen
ihn (bzw. ein gewisses Organ) aufnahmen. Dann switchte er weiter im Programm
und sah dort: Bankräuber („Holla, alles in Dollar!“), Nulllohnrunde,
Verunreinigte Staaten von Amerika, Persilien, Gaudi-Arabien, alle vernefft und
vernichtet, Mac Bauchweh. Da fehlt nur mehr Menasse: „Das Design bestimmt das
Bewusstsein“.
GERHARD wollte am Samstagabend auf ein Bier gehen,
weil er am Sonntag früh aufstehen musste. Doch als er Sonntag früh verkatert
aufwacht und frühstücken will, sieht er SIE: „lange Beine...fuck...sitzt da und
frühstückt...kann mich nicht erinnern, sie je gesehen zu haben“. nur ihr
Gesicht: Bäh! So macht er sich erstmal einen Kaffee, dann aber will er sie doch
loswerden. Mit einem stumpfen Brotmesser? Oder aus dem Fenster schmeißen? Denn
so menschlich, wie der Text anfangs suggeriert, ist diese Langbeinige dann doch
nicht...
DIESER EMIL, erstmals beim fv open mic mit dabei, las
einen Text (den er als „fast ein Essay“ ankündigt), der – von einer in der Gesellschaft
verbreiteten sexistischen Metapher über Schlüssel und Schlösser ausgehend – auf
die Gründe für Sexismus einzugehen versucht. Stammen Sexisten etwa aus
konservativen Familien, in denen Gender für eine Gitarre gehalten wird?
One-Night-Stands nach „Wodka-Bull und Plem-Plem-Machern“ erklären sich für ihn
jedenfalls neurobiologisch (nämlich in Bezug auf den Orgasmus).
BARBARA SABITZER kündigte ihren Text schon vorweg als
„unangenehm“ an. Es war die autobiographische Schilderung eines Autounfalls
(„Rumps, Bumps...mir kracht’s hier“) und dessen Folgen („nicht tot, kein Blut,
nur dumpf, mein Rumpf“). Die andere schreit, sie hätte gebremst. Bei herrlichem
Wetter geht es dann mit dem Hubschrauber über den Wörthersee ins UKH. Arzt: Was
sagen Sie? Oje, sag ich. Doch Kunsttischlerin ist ein schöner Beruf, meint der
Arzt abschließend.
THOMAS brachte einen Text mit dem Titel „Ambrosius
Hoffmann sucht Nutella und findet Nutte Ella“. Nachdem sich der Zielpunkt
verflüchtigt hatte, bog er links obwohl er erzogen wurde, nie vom rechten Weg
abzukommen) in Richtung eines anderen Supermarktes ein (ein „Museum der
Lebensmittel mit kontemporärer Ausstellung“), wo ihm zu den Produkten viele
Reime einfielen. Schlussendlich fand er statt Nutella die Nutte Ella. Der
Heiratsantrag wurde noch im Supermarkt positiv beantwortet.
THOMAS MAYER kam mit der kleinen Anna auf die Bühne.
Es kam zu einem Unfall – ein Jammer war’s! Kleines Mädel – gespaltener Schädel!
Im zweiten Text fand Herr Heidenreich auf einer Internet-Pornoseite seine
Medizin studierende Tochter („Kleine Prinzessin!“) und kritisierte ihren
dortigen primitiven Monolog. Im dritten Text (zu dem er meinte, man solle doch
besser auf Friedhöfen heiraten) sagte der Bräutigam vor dem Altar: „Nein,
lieber nicht (...) es wird sich schon wer finden“.
Es folgte...
...die Pause.
Dieser wiederum folgte MELAMAR als zweite
Eisbrecherin des Abends mit 12 Kurz- und Kürzestgedichten. Beginnend mit dem
poetischen Irrweg der Warteschlange Kundalini der Kaufhauskultur ging es danach
u.a. um das Gedicht als Komplizen, um den Morgen als leere Seite des Tages, um
die Freiheit des Frühstückseies, um das flussaufwärts durchschwimmen des
Gedankenstroms, um den Schreibfluss, der zum Flussrinnsal wird, oder um die
Frage, wer hier schreiben auf speiben reimt.
MARLIES THUSWALD brachte „Poetisches und anderes“. Im
ersten Text wollte sie Matrosin im Kanu ihrer Träume bleiben (doch: „Hier ist
kein Meer“), im zweiten flogen „strahlend grau auf blau“ zwei Schwalben aus
Papier, im dritten begegnete der wilde Weinstock („Was machst du da?“) einem
Kulturmenschen („Ich genieße“) – worauf der Weinstock „Ich habe schon genießt,
Gesundheit!“ antwortet – und im vierten schließlich fiel die Geh-Nuss vom Baum:
„Oh weh, Nuss!“
MIKE HOFER meinte, als er auf seiner Gitarre zu den
ersten Takten ansetzte: „Geplant hab i no nix, i spiel einfach irgendwas“. Und
als ihm der Text nicht einzufallen drohte, fiel er ihm doch noch ein. Er
erzählte in seinem Lied von seiner Freundin, die ihn fasziniert: „Des is a
Freindin, a guater Mensch durch und durch“. Sie wäre „fast zu guat für mich“
und „guat zu mir“. Dem folgte noch ein instrumentales Outro.
FRANZISKA SCHERZ, das erste Mal dabei, wurde in ihrem
Text politisch: „Sie gröhlen schon wieder, kaum sind die Todesseufzer
verstummt“. Es ging um „rührseligen“ Humanismus und die Kurzsichtigkeit für das
Leid in der Welt. „Erholungsbedürftige Touristen schlendern friedlich“ als
Gladiatoren der Vergnügungsindustrie. Im zweiten Text ging es traditionelle
Geschlechterrollen („Frau lächelt, bringt das Essen, zieht sich aus“) und im
dritten um die Zeit der Arena-Besetzung.
COSMUS kam – wie schon letztes Mal – mit Requisiten
auf die Bühne (die bei uns ja – im Unterschied zu Poetry Slams – durchaus
erlaubt sind), nämlich den Gedanken-Transformator „Tradilos“. In an Science
Slams erinnernder Art erklärte er ihn: „Es ist nicht nichts! Es ist also schon
was! (...) Denken – Gedanken – Schwingung“). Ihn mit eigenen Worten besetzen,
das wäre die Basis. Nach rechts drehen würde keinen Sinn machen, eher nach
links (siehe auch den Namen dieses Transformators von hinten gelesen).
KITTY, erstmals dabei bzw. überhaupt auf der Bühne,
erzählte von den drei für sie schönsten Worten: „Nächster Halt: Wilhelmsburg“.
Ihr Text handelte vom Schrambach-Regionalexpreß in ihrer Heimat, dem Traisental,
in dem es Sitzplätze mit 70er-Jahre-Stoffmuster und mysteriöse Fenster gibt,
die man schwer schließen kann. Und im Ort selber: Den Stolz, dass am
Muckenkogel durch Mathias Zdarsky das Schifahren erfunden wurde, sowie einen
schwarzen Pfarrer à la Don Camillo und einen roten Bürgermeister à la Peppone.
RAFAEL kam mit Gitarre und zwei Songs. Im ersten war
er überaus beratungsresistent. Darin ging es um Kenntnis, Vermächtnisse, Bandscheibe,
Urvertrauen, Präsidentenresidenzen, Himmel oder Hölle. Und vor allem um
„hinzulegen und einfach alles hinzunehmen“. „Kapisch’? Leider nichts kapiert“.
Im zweiten Song coverte er einen legendären Klassiker von Nick Cave (den er
seinerzeit im Duett mit Kylie Minogue sang) ins Deutsche: „Am ersten Tag hab
ich sie zu ihrem Fluss gebracht (...) Sie nannten sie die wilde Rose“.
Von Gitarre zu Gitarre ging es dann mit dem „stressresistenten“
STEFAN PETER weiter. Er erzählte zunächst von einem stressigen Tag, der
einen mühsamen Amtsbesuch beinhaltet hatte. Dann sang und spielte er ein Lied
zum sich „in die Mitte bringen“, in dem er schwamm („raus aus der Stadt, mitten
auf’s Land“) und flog („raus aus dem Tal, mitten ins Meer“). Dann ging’s ihm
gut („sternenklar kam’s dir vor“).
Den Abschluss des Abends bildete RHONDA. Das erste
Gedicht war ein englischsprachiger Haiku über Geschlechteridentitäten („I hate
my life, but it’s not the one way, my life hates me“), das doch noch positiv
mit „I am what I am“ endet. im zweiten Gedicht tranken „the girl and the boy“
„too much beer“, doch die „love for art“ brachte beide zusammen. Im dritten,
deutschsprachigen Gedicht erwies sich die wa(h)re Liebe als mehr als Besitz.
Damit ging das 51. fv open mic zu Ende. Alle Teilnehmenden
konnten außer einem Freigetränk sich auch gratis Literatur mit nach Hause
nehmen, wofür wir uns bei den diese zur Verfügung stellenden bedanken möchten:
„& Radieschen“ aus dem Hause ALSO einerseits und Bücher aus der Edition
„Das fröhliche Wohnzimmer“ andererseits.
Das war’s für diesen Winter. Das nächste fv open mic findet
nämlich bereits im Frühling statt – und zwar am 21. April, am 111. Tag
dieses Jahres (sowie dem 2767. Geburtstag der Stadt Rom)