Mittwoch, 17. Juni 2015

Konstrukte, Requisiten & Instrumente



Zum letzten Mal vor der Sommerpause lud das farce vivendi open mic ins Spektakel. Und es wurde ein ganz besonders vielfältiger Abend, was die Bandbreite der Darbietungen betraf. Zudem befanden sich auf und unterhalb der Bühne derart viele Requisiten und Instrumente, wie das bei einem fv open mic bislang noch kaum vorkam. Wer es versäumt hat, ist selber schuld.

Andi Pianka und Thomas Mayer gedachten bei ihren jeweiligen Beiträgen einer gemeinsamen guten Freundin beider, Katharina Horak (dessen zehnter Todestag sich vor kurzem jährte), indem sie vor ihren eigenen Texten auch jeweils zwei kurze Textpassagen von ihr lasen (siehe auch weiter unten).

Nach der Eingangsmoderation und dem traditionellen Münzwurf durfte(?)/musste(?) ANDI PIANKA als erster Eisbrecher auf die Bühne. Nach, wie oben erwähnt, zwei Texten von Katharina Horak, in denen es um Leben, Sinn und Heimat ging, folgte der eigene Beitrag zu einem aktuellen Thema: Nummer 7 versinkt im Mittelmeer – es war ja das Krokodil schuld und nicht unsere feste Festung Europa. So rette sich, wer kann. Fällt ja nicht auf in der Statistik unserer Sadistik.

GEORG HARLEKIN wollte erste Glücksfee sein und zog....sich selbst. Sein erster Text verarbeitete (laut Interpretation des Autors dieser Zeilen, der damit richtig zu liegen hofft) Platos Höhlengleichnis und Freuds Instanzenmodell: Das Ich als der bewusste Selbsttropfen bzw. der zweite der 3 Selbsten in einem in sich abgeschlossenen Höhlensystem. Auch Amor und sein (in einem alten Holzfass steckender) Pfeil kamen vor. Der zweite Text handelte von einem schweigenden Malkasten, in dem jede Farbe für einen anderen Wochentag stand.

WOLF MORRISON kam wieder einmal samt Gitarre auf die Bühne und sang zunächst ein Liedfragment über’s gern haben und verliebt sein. Mitten im Lied kam in einer kurzen englischsprachigen Passage auch sein Geburtsdatum vor. Das zweite Lied befasste sich mit dem gleichen Thema wie der Text von Andi Pianka von vorher. Es ging um die „Fremden“, die nach Überfahrt in einem überfüllten Boot hierzulande böse Blicke ernten, während sie selber einfach endlich in Sicherheit leben wollen.

THOMAS MAYER las, wie oben erwähnt, erst zwei Texte von Katharina Horak, in denen es um’s Schreiben und Laufen ging. Danach folgten drei eigene aus verschiedenen Jahren, in denen er sich mit ihrem Tod und dessen Verarbeitung auseinandersetzte: „Irgendwann wachst du auf und hast eine Mordswut im Bauch“, 5 Jahre später: „Habe die Kraft und einen kleinen Gott in mir entdeckt, der leeres Papier mit Buchstaben bedeckt“. Und schließlich der Neustart: „Ich war in der Hölle, jetzt bin ich zurück (...) Jetzt will ich nachholen, was ich versäumt“.

NADIA BAHA las einen Text mit dem Titel „Interventionen oder Sittenbild mit Innenministerin“ (in welchem diese 38 Deka Heimreisezertifikate einkauft): Wer alles will, hat immer noch alle Möglichkeiten offen, gar nichts zu wollen. Erfahrungen sammeln die anderen, ich jage. Ruft nicht schon wieder nach Verantwortung, sie könnte euch hören! Verantwortung, wer will das schon? Sumsumsum, die anderen bleiben stumm. Man muss die Menschen dort abholen, wo sie sind, denkt Johanna, denkt praktisch, schenkt Zeltzubehör.

STEFAN LOTTER besingt, sich dabei auf seiner Gitarre begleitend, seine Ex-Freundin Marina, die er ausgerechnet in der U2-Station Donaumarina(!) kennengelernt hat. Das hat ihn dann zu eben diesem Lied inspiriert: Komm doch mit mir, in die Donaumarina! Wir beide geh’n zusammen auf Tauchstation. Die Sonne scheint...Ach, könntest du nur a paar Stunden bei mir sein! Mein Problem ist, i bin planlos. Wer ned fragt, braucht si ned wundern, wenn dann nix passiert. Komm, wir lösen den Anker und wir fahren auf und davon!

JULIA SANTINI, ebenfalls mit Gitarre, sang erstmals einen Song auf deutsch (ihrer ehemaligen Chefin „gewidmet“): Maschine. Ecken, Kanten sind verboten. Jeden Tag das selbe Ticktackticktack. Talente sind nicht wichtig. Für dich zählt nur deine Sicht. Ich bin nicht dein Fußabtreter oder deine Marionettenpuppe. Deswegen der Refrain: Denn es ist dein Leben, mein Leben, unser Leben und ich verkaufe meine Seele nicht. Nein, nein, das mach ich nicht. Als Drauf- & Zugabe sang und spielte sie wieder ihren Song „Overpower me“.

JOSEF SEMELEDER und LUKAS RODHARTH waren erstmals beim fv open mic dabei, der eine mit Kontrabass, der andere bemächtigte sich des unterhalb der Bühne stehenden Klaviers. Da ihr Stück ein rein instrumentales war, ist es für den Autor dieser Zeilen sehr schwer, dessen Inhalt in Worten wiederzugeben (er könnte natürlich hier die Notenfolge niederschreiben, was aber in diesem Blog zu viel Platz belegen würde). Jedenfalls haben sie ein Programm namens „Kontraspass“ und treten zudem am 27.Juni in der Galerie „Die Ausstellung“ auf.

Die letzte fv-open-mic-Pause vor dem Sommer folgte.

MELAMAR war Eisbrecherin #2. Bukurie - ein in verschiedenen südosteuropäischen Sprachen gebräuchlicher weiblicher Name - war auch jener der Protagonistin ihres Textes bzw. Manuskriptes in Arbeit. Eine ca. 70jährige Zeitungsverkäuferin, von der ein Strahlen ausging, erzählte von ihrer großen Familie, dem Krieg und darüber, wieso sie die anderen nicht hasst. Im zweiten Text („I try not to cry“) starb ihr ihr Traum: Diese Wirklichkeit da ist ne Fehlkonstruktion. Und gibt es ein Leben VOR dem Tod?

COSMUS hatte schon zuvor ein dreibeiniges Konstrukt aufgebaut, das auf drei Beinen stand und mittendrin zwei baumelnde Dinge hatte, deren Interpretation der Phantasie des Publikums überlassen war (wer nicht da war, ist selber schuld!). Vor diesem las/entzifferte er selbstverfasste Hieroglyphen, die u.a. von Freude, Zwang, Disziplin, Motivation, Mühe, Poetry Slam, Chaos, Kunst usw. handelten, ehe sie an einem Anfang anlangten. Denn begonnen hatte Cosmus mit den Worten: „Ich bin Cosmus. Ende. Das Experiment.“

THOMAS meinte, sein Text bedeute nichts und passe nicht zusammen, dafür beinhaltete er Sätze aus gleich 5 Sprachen (Deutsch, Norwegisch, Englisch, Spanisch, Französisch): Es war heiß, ich ging ins Theater – das Stück war schlecht (worauf ein Regen folgte, er nach Hause ging, ins Bett fiel und nach acht Stunden wieder aufstand, um nach weiteren 16 Stunden wieder schlafenzugehen). Wir traten an der Stelle, bis sie einbrach. Wir wollten um Verben werben. Lieber Fotos als Rehe schießen. Der Regen fiel auf deine baren Schultern. Peut-être pronto, peut-être jamais.

ANGYAL GYULA bewunderte zunächst Cosmus’ dreibeiniges Konstrukt. Da sah er sich als Mann. Seinen Text las er zweisprachig vor, erst auf deutsch, dann auf ungarisch. Er trug den Titel „Hure und Winden“ und war von einer norwegischen Black-Metal-Band inspiriert. Alle meine Schätze schmeiß ich in den Wind. Ephemere als Ephemere Scheiße. Die größten Huren sind im Politikerbereich. Oh, du Promiwelt, deine geschminkten Sterne strahlen. Aber ich bleibe Anarchist. Die Verrücktheit hat mich gesegnet. Ich fresse Black Metal. 

DOMINIQUE, erstmals beim fv open mic dabei, las zwei Gedichte. Zuerst einen „Appetizer“ zur Desorientierung: Was ist das für eine Welt der Gestörten? Was ist, wenn es doch ein Land unter meinem Bett gibt? Über Stock und über Stein bricht sich der Holzstock das Bein. Das zweite Gedicht handelte von Geisterkunde: Es wird Zeiten geben, da wundere ich mich. Es wird eine Sonne aufgehen, die wird eine Wonne sein. Wenn wir werden, wird etwas sterben. So viel, was das Leben klont. Du Mercedes-Benz unter den gedachten Worten.

MARTIN JUST, ebenfalls erstmals bei uns mit dabei, verwies zunächst auf sein Theaterensemble ginA für Menschen mit besonderen Bedürfnissen, welches am 22.Oktober auch im Spektakel auftreten wird. Er las dann Ausschnitte aus seinen für dieses Projekt verfassten Texten: Oh Mandelsplitter dreizehnfach. Amygdala, du Kleinod, ich weiß dich sehr zu schätzen. Die Leit san do selber hinnig. Lästige Welt, die Nachbarn. Der Teschek, der bin wieder i. Alles, was je geschrieben wurde, darf nicht vernichtet werden - es wird vergessen.

Und damit ging nicht nur dieser Abend, sondern auch die farce-vivendi-open-mic-Saison 2014/15 zu Ende. Ein großer Dank an alle Aufgetretenen (in Summe 124 Auftritte in dieser Saison, also im Schnitt 12,4 pro Abend, wobei da die beiden EisbrecherInnen melamar und Andi Pianka noch gar nicht erst miteinberechnet sind, und wobei Georg Harlekin und Thomas Mayer es tatsächlich geschafft haben, bei allen 10 Open Mics dieser Saison aufzutreten – Respekt und Hut ab!) und natürlich auch an unser Publikum sowie das Spektakel!

Wir sind guter Hoffnung, uns/euch nach der verdienten Sommerpause im September wiederzusehen. Der genaue Termin wird euch, sobald er wirklich feststeht, hier mitgeteilt werden (so viel sei aber schon gesagt: Die Chance, dass es wieder der dritte Dienstag des Monats sein wird, also der 15.September, stehen derzeit nicht schlecht).

farce vivendi wünscht euch einen guten (Rutsch in den?) Sommer!