Das erste farce vivendi open mic nach der Sommerpause
war zugleich das zehnte, das im Spektakel stattfand. In etwas „familiärerer“
Publikumsatmosphäre als sonst (aber wir hoffen, dass uns all diejenigen, die
das fv open mic gedanklich wohl noch in der Sommerpause wähnten (da ja
astronomisch noch Sommer ist), im Oktober wieder beehren) gab es dennoch
immerhin 11 Auftritte von 12 Personen zu bewundern (exkl. des Moderationsduos).
Eine Info an dieser Stelle (da der Autor dieser Zeilen von einem Zuschauer eine
dementsprechende Frage gestellt bekam): Nein, auch wenn sich an einem fv-Abend
in den Beiträgen manche Themen wiederholen (diesmal waren es z.B. Liebe oder
Flucht), so gibt es bei uns keinerlei thematische Vorgaben. So wie alle
Sprachen und Stile, so sind auch alle Themen erlaubt und willkommen :-)
Doch nun das, was sich am Abend des 15. September ereignet
hat:
Die die Reihenfolge der EisbrecherInnen bestimmende
griechische Drachme fiel nicht auf Homers Kopf, sondern auf Zahl – somit durfte
ausnahmsweise MELAMAR die erste sein. In ihrem sehr neuen, mit
„Schreiben“ betitelten Text befasste sie sich mit der Frage „Was schreiben in
Zeiten wie diesen?“ Von einem Buchcover
blickt sie Raif Badawi an (aus dessen Buch melamar auch zwei kurze Passagen
einbaute). Meinungsfreiheit ist die Luft, die sie atmet. Diese Menschen wären
nicht auf der Flucht, wenn sie daheim lesen und schreiben könnten. Und sie
beendete ihren Text (in dem es auch um Säkularismus ging) mit der Erkenntnis: Worte können Leben retten.
Erstmals mit dabei – und gleich als Nummer 1 gezogen wurde LAPIDAR,
ein aus der Türkei stammender Musiker. Er beglückte uns (samt Gitarre und einer
beeindruckenden Stimme) mit zwei englischsprachigen Songs, konkret mit zwei
Covern. Das erste war „Hurt“ von Trent Reznor (manchen vielleicht auch bekannt
in der Version von Johnny Cash): What have I become, my sweetest friend? I would keep myself, I would find a
way. Als zweites folgte „The Story“ von Brandi Carlile: All of these lines
across my face tell you the story of who I am. It’s true...I was made for you.
Wie es der Zufall so wollte, wurde auch als Nummer 2 ein
fv-open-mic-Neuling gezogen, nämlich JOE. In seinem Text ging es um die
verwirrende Suche nach Freunden, die das schwierigste auf der Welt ist. Wir
suchen real und digital (gemeint waren da „Freundschaften“ in so manchen
sozialen Netzwerken). Manche Menschen misten ihre Freundesliste jährlich aus.
Alkohol als „Hilfsmittel“ führt nur zu Kopfweh, speiben und piepsen im Ohr. Es
ging dann auch um Gehirne von Zombies und die Angst vor dem verlassen werden.
Und das schlimmste in einer Freundschaft ist deren wortloses Beenden.
THE BEASTPOET MÖLLWERK – unter diesem originellen
Namen kam ein (aus Tirol stammendes) Duo auf die Bühne, dessen eine Hälfte
schon einige Male solo beim fv open mic mit dabei war. Nicht unbedingt
tirolerisch, sondern eher jamaikanisch klang die erste (englischsprachige)
Nummer: eine Art Reggae-Rap, beatboxerisch untermalt. Es ging freestylemäßig
auf Deutsch weiter (es ging u.a. um Spektakel-Tentakel, produzierende Satire
und vor allem um’s Bügeln). Zum Schluss gab’s noch „an g’scheiten“ dritten
Beitrag, der anscheinend noch eine zweite Strophe gehabt hätte.
Nummer 4 war ein „Urgestein“ des fv open mic, nämlich CHRISTIAN
SCHREIBMÜLLER. Er brachte einen weiteren (neuen) Text aus seiner Serie über
die „einen“ und „anderen“. Der eine ist ein Hallodri („Entschuldigung, steckt
ein die Zung’“), der andere bleibt schüchtern und nüchtern. Klar is nur: Sie
wollen di vögeln. G’wehnlich lebst halt mehr wie g’wehnlich. Und der Heimwerker
bei seiner Maggie: Die Maggie, die schleck i. Am Abend kommst ganz gut durch
mit zwölf Bier. Dann warf er die Frage auf, ob Mitklitoris (abgekürzt:
Mitklit.) die gendergerechte Form von Mitglied ist. Es rennt halt schlecht mit
de Geschlechta.
Wie schon oft, war auch wieder einmal WOLF MORRISON (diesmal
mit Gitarre) für die letzte Darbietung vor der Pause verantwortlich. Aus
aktuellem Anlass sang er sein Lied „Fremder in der Stadt“, in dem es darum geht,
wie Menschen, die aus ihrer Heimat geflüchtet sind („alle Ersparnisse
investiert für eine Überfahrt auf einem überfüllten Boot“), hierzulande
empfangen werden: I will dir doch nix tun, i will einfach nur leben (aus der
Sicht des Flüchtlings). Sein zweites Lied „Little Wing“ war eine Hommage an
Jimi Hendrix, dessen 45. Todestag sich dieser Tage jährt.
Danach wurde für ca. 15 Minuten pausiert.
ANDI PIANKA als zweiter Eisbrecher stellte sich in
seinem Text die Frage, welche Ziele eigentlich die Pegida-DemonstrantInnen
verfolgen bzw. welche Forderungen sie aufstellen – vermutlich die nach Verbot
arabischer Ziffern, der Geschichten aus tausendundeiner Nacht, des Kopftuchs
von Nonnen, des grünen Ampellichts oder der Perserkatze (die vor einer
Zwangsverheiratung mit einem afghanischen Windhund beschützt werden muss).
Ferner sind Ali-mente durch Adolf-mente zu ersetzen und schwarze Vollbärte
durch originär teutonische Schnauzer, ras(s)iert nach dem deutschen
Reinheitsgebot.
GEORG HARLEKIN, dessen erstes Buch am 17.9. im
Amerlinghaus präsentiert wird, war in „Trainingscamp“-Stimmung. Er fing mit
zwei Zitaten an: eines über das Erschaffen („Kreativität bzw. Relativität ist
der Schöpfungsprozess in Aktion...“) und eines über das Schweigen (über das
aktuelle Weltgeschehen bzw. schweigen und sich dankend verneigen). Dem folgte
ein Text aus dem eben erschienenen Buch: Matt statt satt – Schachmatt (ein
Albtraum). Draußen ist es düster. Das Verderben verbreitet sich rasant markant.
Dämonen tanzen den Walzer. Die Fratze des Krieges.
Auch wenn die nächste Autorin meinte, ihre Mutter hätte ihr womöglich
auch den Vornamen Kaktus geben können, so stand sie doch als JAZMIN DEL
CAMPO auf der Bühne. Sie las ihren Text „Das Spiel der Liebe“. Die Liebe
ist verunsichernd, voll mit Risiken (ob für risikoscheue oder Liebesschwärmer).
Es ging um die Versuche der stärkeren Person („Du schaffst es schon!“), sich zu
biegen und anzupassen, um die andere Person zu verändern („Obendrauf gehört
dieses Herz ja mir“). Es muss erst geschehen! Es muss die Veränderung vollzogen
sein! Ob es Liebe war? Du wirst dir die Frage nie selbst beantworten können.
HARRY P brachte zunächst einen Text mit dem Titel
„Bananität der vergurkten Krümmungen“, in dem er sich mit der unterschiedlichen
Wertigkeit der Geraden und der Krümmung beschäftigte. Das fände er
diskriminierend. Weiters ging es in dem Text um Dinge, die man heute nicht mehr
sagen darf, z.B.: Eu weh! Das könnte als Anti-EU-Statement missverstanden
werden. Der zweite Text war ein Dialog eines Ehepaares: Der Mann liebt seine
Frau, weil sie sich so gerne verdreschen lässt und sich auch sonst devot gibt.
Doch die offenbart ihm nun, einen jüngeren Mann gefunden zu haben, der zur
umgekehrten Rollenverteilung bereit ist. Es folgte noch ein kurzer Abschluss
zum Thema Wahrheit und Lüge.
BARBARA SABITZER präsentierte ein ihrer Meinung nach
„Worst of“ ihrer Texte. Der erste war ein „extremkärntnerischer“ Abriss über
die wirklich wichtigen Themen im Leben. Rezeptgebühr, Studiengebühr, Heizkostenzuschuss?
Nein: Kasnudeln, Kasnudeln, Kasnudeln! Mir hab’n ja kan Schuss. Scho fesch –
und auf einmal Crash. Der zweite Text war eine Art gerappter politkritischer
„Sonntagsblick“. Es ging um den Anstieg seltener Krankheiten wie
Zwerchfellzerrung, Penisschwellung, Wackelarsch, Herzgewittern. We’ve got the
blues. Fast alle sind schon angesteckt. Wo bleibt hier das Rettungspaket?
Von MARLIES THUSWALD gab es fünf kurze Texte zu
hören, von denen die meisten ein Ich und ein Du beinhalteten. Sie handelten von
einem Puzzlespiel („Du fragst, wer du bist – Ich frag, wer kann ich sein?“),
ausgesprochenen Gedankenkreiseln, der stechenden Zeit und einer Wildwasserfahrt
(„Du bist wie Wasser, nur noch nasser, du zerrinnst mir unter den Fingern“).
Auch der fünfte Text handelte von Wasser, aber in einem anderen Zusammenhang:
Wellenspringend die Donau entlang, so blau, so blau. Flut ist die ungleiche
Verteilung von Wasser. In den Booten, in den Lastwagen, da kommen keine Fluten.
Da kommen Menschen!
Last, but not least (diese Formulierung führte zu einer
Diskussion darüber, in welchen Sprachräumen sie verwendet wird) kam wALTEREGOn
samt Gitarre auf die Bühne. Das erste Lied („Maybe I’m Amazed“) war fast von
ihm, aber doch auch ein wenig von Paul McCartney – das zweite, „handfestere“,
dafür ganz von ihm. Ursprünglich sollten Schwalbe und Star vorkommen, das fand
er zu kitschig, also Schweinedame und Skunk. Die Schweinedame hat genug vom
alten Eber. Sie will einen exzessiven, noch dazu jungen Lover. Also zweigt sie
mit dem Skunk in die Sümpfe ab („Hey Baby, komm doch in den Pool!“). Es wird
immer mehr. Doch das Liebesspiel hat dann eine geruchlich nicht so tolle Wende.
Somit ging dieser Abend (der auch im Zeichen der Frage
stand, ob eine Glücksfee, die sich selber zieht, eine Autoziehung begeht und ob
der Autor dieser Zeilen in den Blog hineinschreiben kann, dass es beim fv open
mic zu Autoziehungen kommt, weil das beim potenziellen Publikum vielleicht missverstanden
werden könnte) zu Ende. Das nächste fv open mic findet dann bereits tatsächlich
im Herbst statt, nämlich am 20. Oktober 2015.