Mittwoch, 16. April 2014

...war's, der (Voll)Mond schien helle...



Vollmond war’s, kalt/regnerisch war’s (draußen), FARCE VIVENDI OPEN MIC war’s (drinnen) und schön war’s wieder mal.

Es begann mit einem Wunder: Die, um die eisbrechende opferlämmerische Person zu ermitteln, geworfene Münze fiel auf Zahl – und das bedeutete in diesem Fall nicht auf den „üblichen Verdächtigen“, sondern auf MELAMAR.  Ihr Text beschäftigte sich mit dem Thema Zorn. Das ist die Wut, die den Reim auf „gut“ loswerden will. Rage, rage against. Fukushima („hinter 1500 Brennstäben bald keine Welt mehr“ – Anm.: Es sollte nicht die letzte Zitierung dieses Rilke-Verses an dem Abend bleiben) oder Frauenunterdrückung waren u.a. Themen, um die es ging. Braucht es nicht ein klein wenig Zorn gegen das Unrecht? Ich atme ein...Ich atme aus...

Startnummer 1 wurde diesmal nicht gelost, sondern auf persönliche Bitte hin vergeben, da GEORG HARLEKIN nachher gleich noch zu einer Osterkonzert-Probe mußte. Zuvor erfreute er uns 1.) mit einem Würfel-Gedicht (Die Zeit im Zeitraffer dahin...Ich bin Georg Harlekin...das spielende Kind in vollendeter Komposition...), in dem u.a. auch die göttliche Nirvanagasse vorkam, in die er sich hineinfallen läßt, 2.) mit einem Ketten-Gedicht, in dem unter all den Ratten eine auftaucht, die fragt: „Weißt du eigentlich, wie lieb ich dich habe?“, sowie 3.) mit einem Danke-Gedicht für’s einfach Sein („Als Stern – das bin ich besonders gern“).

WOLF MORRISON war diesmal für vermutlich längere Zeit das letzte Mal beim fv open mic, da er derzeit berufliche Pläne verfolgt, die sich in nächster Zukunft kaum damit vereinbaren lassen werden. Zu diesem besonderen Abschiedsanlaß war (statt einer Gitarre wie üblich) diesmal ein grooviges Keyboard sein mitgebrachtes Instrument. Er begann mit einem „Klassiker“ von ihm, nämlich einem Lied über seinen unbequemen Kampf gegen die Dummheit in Stadt und Land („I hab an Panzer aus Gußeisen“) und folgte/endete mit dem S.E.X., aus dem „heit leider nix“ wird, na. Denn: „I bin scho total fertig, kaputt, Error – doch machst so an Terror“.

Auf diese beiden „Stammgäste“ des fv open mic folgte ein Debütant, nämlich STEFAN LESSMANN. Laut eigener Aussage unvorbereitet, da vorher im Kino gewesen, präsentierte er uns zuerst eine 1-Satz-Kurzgeschichte über die Rückspultaste und anschließend eine längere Kurzgeschichte namens „No milk today“ über einen gewissen Martin, dem am Bahnhof von einem anderen Mann am Klo ein „Glas Milch“ angeboten wird. Nach Hause zurückgekommen, schläft er vor dem Fernseher ein und träumt von Kindern, Milch, einem Storch, der nach dem ablegen eines Babies verbrennt usw. – bis dann der Wecker läutet...

Nicht nur den kürzesten Namen des Abends, sondern auch den kürzesten Auftritt hatte KURT, die mit ihrem wieder einmal beeindruckenden Lesetempo dem Schreiber dieser Zeilen das Mitschreiben nicht grad leicht macht (wobei der Schreiber dieser Zeilen ja oftmals durchaus ein ähnliches Lesetempo einlegt) ;-)  Es ging in ihrem Text wieder einmal um Fragen, die sich das Ich über sich selber stellt: Das läuft doch eh von selbst...Neben mir...Außer mir...Was läuft durch?...Das bin ich nicht...Bin ich Ich?...Was wichtig ist, bleibt draußen...

Die erste Hälfte beendete noch ein fv-open-mic-Debütant, nämlich KILIAN JÖRG. Anfangs konnte er sich zwischen Prosa und Gedichten nicht so recht entscheiden, fing dann doch mit Prosa an. „À dieu“ hieß der Text. In der Topographie seiner Lebens- und Leidensgeschichte kam u.a. zwischen Insektenhierarchien und Kleedschungel ein Marienkäfer vor. Es war oder (wie man auf französisch sagt:) es machte heute schönes Wetter. Aufgrund einer spontanen Unwillensbekundung des Autors, den Text zu Ende zu lesen, gab es doch noch auch drei (englischsprachige) Gedichte zu hören, u.a. als zweites eines über den „Lizard from the sea“ und die „Unfinished revolution“. Berlin und Zorn bildeten die Themen des ersten und dritten Gedichts.

Pause war’s. Und schön war’s.

ANDI PIANKA begann die zweite Hälfte. Ein politischer Text (erschienen im Radieschen #24) war sein Beitrag. Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Denn wer Mensch ist, glänzt kunterbunt, somit heller als jeder Zynismuszipfel-gipfelige geh-acht-gib-acht-summit. Die Märkte sado, die Menschen maso. (Und, ohne sich mit melamar davor abgesprochen zu haben, gab es zufälligerweise auch in seinem Text eine Zitierung des selben Rilke-Verses – bei ihm in der Version:) Denn uns ist, als ob es tausend Stäbe gäbe und hinter ihnen keine Welt, keinen Weltrekord, keinen gordischen Knoten...

Es ging weiter mit BENJAMIN, der sogleich Guten Abend sowie Feierabend wünschte und sich in weiterer Folge während des Auftritts seines Sakkos und seiner Krawatte entledigte (gegen Ende hin auch seines weißen Hemdes). In seinem Text kam häufig der Vollmond vor. Der Sommer war Winter – April, April...Ich trank auf euch – und auf die Freiheit...Ikarus wird er nicht sein, denn die Flügel sind nur Schein...Der Mond steht über Wien...morgens im Puff – wieder eine Nacht im Vollmond...ob sie mich beschiß, wissen nur die Sterne...

Die Ersten werden die Letzten sein – dieser Satz trifft’s gut, denn just jene drei AutorInnen, die bereits allesamt vor 19:30 da waren, wurden als die letzten drei gezogen. Den Anfang dieses Trios bildete ein schon seit sehr langer Zeit nicht mehr bei fv open mic dagewesener, nämlich NOAH HUBER. In englischer Sprache brachte er einen Text über Beobachtungen und Erlebnisse – u.a. über Kinder beim Sushi, „The day is drenched“, ein „early arrival“ bei Andy („she smiles finely“) und nochmals Kinder: „Two girls walkin’ alone up the Wienzeile“, wovon die eine (no doubt!) eine „destination“ hatte. Eine kurze Gesangseinlage gab es in dem Text auch.

Zwei Texte gab es von MARLIES THUSWALD zu hören. Den Anfang bildete die (kürzere) „Wir-Statistik“ mit vielen mathematischen Anspielungen („Wir sind die beiden Konstanten in einem Chaos aus Variablen“...“In allen Tabellen korrelieren wir“), dann folgte der längere Text, der allen Menschen gewidmet war, die einen Kopf haben: „Ich habe einen Kopf, also denke, also bin ich“. Doch in der „Sicherheit des Brombeergestrüpps, wo du wartest“ verlor sie dann ihren Kopf. „Also fühle, also bin ich erst recht“. Dann kam aber die nächste Wendung, wo sie wieder einen Kopf hatte – „Also bin ich wieder allein“. Da heißt es nur mehr: „Rennen, rennen, rennen“.

Den Abschluß bildete der dritte fv-open-mic-Debütant des Abends. THOMAS las nicht nur das Gedicht „Molnet“ des schwedischen Dichters Erik Johan Stagnelius („Vad är vårt liv? Ett moln som flyktigt simmar / kring rymderna på Ödets kalla ilar......“), sondern auch seine eigenen Übersetzungen dieses Gedichts ins Litauische, Spanische, Englische und Deutsche. Auf Deutsch heißt das Gedicht „Die Wolke“: Eine Wolke, das ist unser Leben...Der Mond schläft hinter tausend grauen Schatten...Donnerschlag! Damit wurde wohl neuer fv-open-mic-Rekord erzielt: 5 verschiedene Sprachen in ca. 5 Minuten – das hatten wir wohl noch nie.

Schön war’s, qualitätsvoll war’s, gut besucht war’s, Vollmond war’s.

Und wer gedacht hat, nach dem 42.(!) FARCE VIVENDI OPEN MIC wäre die von Douglas Adams gestellte Frage nach „life, the universe and everything“ auf immer und ewig beantwortet, hat sich geirrt. Es sind noch immer viele Fragen offen. Und so sehen wir nicht betroffen den Vorhang zu, sondern uns einander am 20.Mai wieder.



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