Donnerstag, 22. Januar 2015

Ein Abend mit vielen aktuellen Bezügen





Beim ersten farce vivendi open mic des Jahres 2015 (welches u.a. von einer ganzen Schulklasse samt Deutschlehrer besucht wurde) nahmen einige Auftretende in ihren Texten bzw. deren Anmoderationen Bezug auf aktuelle Ereignisse der letzten Wochen. Aufgrund eben dieser Ereignisse war es dem fv-Team auch ein Anliegen, an die Opfer von Unmenschlichkeit und Barbarei zu erinnern (jene in Paris, aber genauso erwähnte melamar in ihren einleitenden Worten jene in Nigeria oder Saudi-Arabien).





Nach einem kleinen Zwischenfall unmittelbar vor Beginn, bei dem der ganze Inhalt eines Getränketabletts dem Boden entgegen herniederfiel, legte das fv open mic kurz nach 20 Uhr los.







ANDI PIANKA, Sieger (bzw. aus eigener Sicht eher Verlierer) des Münzwurforakels, las zwei ganz frische aktualitätsbezogene Gedichte – ein kurzes, in dem er (als Antwort auf den in manchen Medien vieldiskutierten „Naina-Tweet“) die geisteswisschenschaftliche Allgemeinbildung verteidigte, und ein längeres im „Je suis Charlie“-Geiste geschriebenes: Doch ist der Stift stärker als das Schwert...

Als Startnummer 1 wurde diesmal WOLF MORRISON gezogen. Er brachte zuerst sein Keyboard in Stellung und sang daraufhin zwei gesellschaftskritische Lieder. Das erste handelte von seinem unbequemen Kampf. Das zweite Lied (in dessen Anmoderation er auf eine ewiggestrige Veranstaltung, die auch heuer wieder demnächst in der Hofburg stattfinden wird, verwies) war ein Aufruf an die Menschen in dieser Stadt, endlich aufzuwachen.


GEORG HARLEKIN eröffnete seinen Auftritt mit einem interessanten Zitat. In einem ersten Gedicht schloss auch er sich „Je suis Charlie“ an („In Zeiten wie diesen ist es eine Challenge mit der inneren Balance“), im zweiten ging es um das Leben in der dahinflutschenden Zeit und ein absenderloses Telegramm, im dritten schließlich empfahl er, sich Boote (oder noch besser Raumschiffe) zu nehmen, und verwies auf die Meldestelle für Glücksmomente



THOMAS MAYER las von Schreibblockaden und dem Umgang damit („Werde wieder schreiben und maßlos übertreiben“ steht an seiner Tür). Früher, da gab er sich nach durchgeschriebener Nacht bis zum Nachmittag dem Schlaf der Gerechten hin, doch heute: Kein Sex, Drugs & Poesie. Und wenn heute textstrom oder fv open mic ist, dann heißt es: „Rasier dich!“  Dem folgten zwei kurze Gedichte über das, was Gott alles ist, und über Kekse und ihre Folgen.




CHRISTIAN SCHREIBMÜLLER nahm (ob zufällig oder beabsichtigt) in seinem ersten Text auf situationselastische Art und Weise indirekt Bezug auf den kleinen Zwischenfall vor Beginn der Veranstaltung. Es ging um höflich-gehobene Sprache, v.a. in der Gastronomie („Geruhen der Herr einen Cognac zu sich zu nehmen? – Cognac? Habt’s ka Ribisel in dieser g’spritzt’n Hütt’n?“). Der zweite Text handelte vom Ungustl: „Es gibt auch uncharmante Weaner“.

wALTEREGOn beendete die erste Hälfte mit Tagebuch-Einträgen von vor seinem Coming-out als Musiker. Da wurde er nach 25 Jahren zum Direktor der ............ (dem Autor dieser Zeilen war es unmöglich, diesen sagenhaft langen englischen Ausdruck mitzuschreiben) befördert und bezog daraufhin sein eigenes Büro mit einem Zwölfender und neuem Schreibtisch (Buche Vollholz: flexible portable desktop), wo er Frau Renate kennenlernte und Mamas Kaisersemmel mit Extrawurst aß.

Nach der...

...PAUSE...

..fungierte MELAMAR als Eisbrecherin #2. Auch ihre beiden (wenngleich bereits älteren) Texte hatte sie aufgrund der aktuellen Ereignisse ausgewählt: Der erste handelte von der von ihrem Ehemann getöteten afghanischen Autorin Nadia Anjuman („Einer war’s und viele – im Namen falscher Ehre (...) Es leben deine Lieder weiter – hast nicht umsonst gekämpft“), der zweite („God ist the mother oft the universe“) setzte sich u.a. kritisch mit der westlichen Welt und ihrem Selbstbild auseinander.

Erstmals dabei war PHILIPPA. Auf den Tag genau vor 10 Jahren ging sie mit ihrer besten Freundin in der Schul-Mittagspause chinesisch essen – und heute am Jahrestag wieder, wo sie auf Servietten Briefe an sich selbst in 10 Jahren schrieben. Philippa las beide vor. In ihrem eigenen erwähnte sie ihr „urgeiles Sushi“, dachte an Momo und die Kostbarkeit von Stunden, an Liebeskummer und fragte sich, wie die Welt in 10 Jahren aussieht („Ist Sebastian Kurz Bundeskanzler geworden?“), während ihre Freundin u.a. von Hobbies, die noch nicht existiert haben, schrieb.

STEFAN PETER brachte einen Fortsetzungstext zu seiner legendären „Selbstmordberatung Toni“ mit dem Titel „Leichenkraft“: Da es in Wien morbides Vitalitätsdenken gibt und Toni eine 80%ige Erfolgsquote hatte, werden nun neben einer ganzen Merchandising-Produktpalette geleitete Gruppen für negatives Denken (ND) gegründet, in denen (nach einer Einführung mit Friedhofsbildern, Pantomime und Affirmationswunschrunde) u.a. bekannte Kinderlieder mit morbiden Texten versehen werden.


GERHARD schloss zuerst an Thomas Mayers Gedicht über Gott an und erzählte ebenfalls, was er alles ist. Der zweite Text war ein Glaubensbekenntnis: „Ich glaube ans Geld, das Zahlungsmittel, das allmächtige, empfangen durch den heiligen Buchungssatz, geboren in der Druckerpresse...“, dem er noch einen kurzen Vortrag über diverse Sprüche auf Banknoten folgen ließ, die ihn ans DKT-Geld erinnern würden, und endete mit dem Satz: „Mit Schuld wird man nicht glücklich“.



Nicht die Bühne, sondern stattdessen die auf sie führenden Stufen (welche er als Sitz für seinen Auftritt wählte) erklomm MIKE HOFER mit seiner Gitarre. Er fragte, seine philosophischen Fragen auf dieser begleitend, was denn wichtig sei und was nicht. „Gibt’s irgendwas, was wichtig is? Oder ned?“. „Dermaßen besoffen“ folgte – mit der laut eigener Meinung „falschen“ Gitarre – dann noch ein Blues.


ANGELA machte auf die von ihr organisierte „Lange Nacht der Kunst gegen Gewalt & Missbrauch“ am 16.2. aufmerksam (bei welcher auch einige der heute Auftretenden mitmachen werden). Der erste Text befasste sich auch klar mit diesem Thema und handelte (aus der Sicht eines Kindes geschrieben) von einem jahrelang gewalttätigen Stiefvater, von dem die Mutter genauso schwärmte wie andererseits von antiautoritärer Erziehung  -> „In der Pubertät erkannte ich die Chance und floh“. Ein zweiter Text behandelte 4 Versuche, ein Liebesgedicht zu schreiben, die alle nicht klappten, da die Gedichte u.a. zu politisch oder zu chemisch waren.

Den Abend beendete HARRY P. mit zwei Dialogen. Im ersten verlangt ein Restaurantgast vom Ober eine Buchstabensuppe ohne X und K („das kratzt so im Hals“), ein Schnitzel in der Form von Italien, herzförmigen Erdäpfelsalat, eine Schaumkrone von 38 mm und Senf & Kren zum Apfelstrudel. Als der zuvor kritische Kellner erfährt, wer der Gast ist, ist er sofort bereit, das Gewünschte zu bringen. Im zweiten Dialog schafft es ein betrunkener Autofahrer den ihn kontrollierenden Polizisten von einem Strafmandat abzubringen.

So ging wieder einmal ein abwechslungsreicher Abend zu Ende.

Wir bedanken uns bei WienKultur, sowie bei der Edition Das fröhliche Wohnzimmer, die uns mit Geschenkbüchern für die Teilnehmer/innen bedachten.

Wir freuen uns nun auf das große Jubiläum am 17. Februar, wenn das farce vivendi open mic 8jähriges Jubiläum feiert UND zum 50(!) Mal stattfindet!

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