Dienstag, 27. Oktober 2015

Damaszener Zuckerbäcker und alliterierende Alpakas im Land der goldenen Sterne



Am Vorabend jenes Tages, an dem der zweite Teil der Film-Trilogie „Zurück in die Zukunft“ spielt, kamen in den Beiträgen des 56. farce vivendi open mic alle möglichen Zeiten vor (die Zukunft wie die Gegenwart und wie die Vergangenheit).

Die Schillingmünze aus dem Jahr 1985 (dem Jahr, in dem „Zurück in die Zukunft“ startet) entschied sich für MELAMAR als erste Eisbrecherin. Sie brachte einen Text namens „Damaszener Träume“, in dem sie sich daran erinnerte, wie sie – inspiriert durch die Geschichten aus 1001 Nacht – als 9jährige von einer Damaskus-Reise träumte, weil es dort die besten Zuckerbäcker der Welt geben würde. Sie wurde milde belächelt, doch drei Jahrzehnte später fing (2012) ausgerechnet in jenem Zuckerbäckerstadtteil (Al-Midan) der syrische arabische Frühling an. Wird wieder eine Zeit kommen, in der man an Süßigkeiten denkt, wenn der Name Damaskus fällt?

Das Los mit der Nummer eins war eines, das auf den Namen MIKE HOFER lautete. Er betrat – so wie auch sonst immer – wieder einmal in Begleitung einer Gitarre die Bühne. Ein neues Lied über „a destination that I wanna reachin’“ brachte er dem Publikum dar – wie üblich untermalt durch kurze Zwischenkommentare und rein instrumentelle Passagen. Die langsam ablaufende Zeit kommentierte er spontan mit einem „just thirty seconds left“ und verließ sodann – wie alle anderen Auftretenden – mit einem Feribord die Bühne.

GEORG HARLEKIN zog sodann als Glücksfee gleich sich selbst. Sein erster Text handelte von Flüchtlingen, die alles verloren haben, und deren Menschenwürde. Im zweiten ging es um die Liebe und darum, was sie alles möchte (atmen, kommen, gehen, wachen, mit dir schlafen,...). Liebe liebt einfach Musik. Liebe atmet Liebe und gibt mit Liebe Liebe. Im dritten Text ging es um Frieden: Hey Man! You man! Yes we can! What?! Don’t close your eyes to the problem. Unsere Welt: noch immer nicht verarztet, ich meine verbunden.

Unser “Urgestein” CHRISTIAN SCHREIBMÜLLER erzählte über den Caruso von Rodaun, der es an jedem Freitag Nachmittag immer wieder angeht, in die Schellbahn einsteigt und in Breitensee wieder aussteigt. Dort im Wirtshaus gibt’s zwar mittlerweile einen vom Balkan stammenden Sänger, bei dem er manchmal mitsingt („I mach nur noch, was i kann“), aber früher, da hätte er selber „an der Oper gastiert, in Laa an der Thaya gar triumphiert“. Auch wenn er Fiedler heißt, so war er doch der Caruso von Rodaun.

Erstmals beim fv open mic mit dabei war ALEXANDER BIEDERMANN. Unter dem Titel „Less home“ gab es von ihm einen Text über sehr aktuelle Themen und Fragen zu hören: Wo wohnst du? Wo schläfst du? Wo trinkst du? Wo isst du? Wo wäschst du dich und wo deine Wäsche? Wo legst du dein Zeug hin und wo deinen Hut? Wer gibt dir den Frieden, nicht rastlos zu sein? Wie hast du es bis hierher geschafft? Der Text mündete schließlich in folgende Bitte: Ich bitte euch: Steht auf und bereichert dieses Land!

MARLIES THUSWALD las ihre Fabel „Der Zaunkönig“. Im Land der goldenen Sterne auf blauem Grund hatten alle Menschen eingezäunte Grundstücke. Das fanden die Kinder langweilig und versuchten, durch Spiele die Zäune zu überwinden, während sich die Erwachsenen noch höhere Zäune wünschten. Die Kinder beschlossen, es selbst mal anders zu machen. Und 50 Jahre später konnte man einfach über die Wiese gehen. Doch auf einmal sah man „andere“ Leute auf der Straße. Erst wurden sie eingeladen, doch dann, als es immer mehr wurden, beschlossen die nun erwachsenen Kinder von damals, wieder Zäune zu errichten.

Die erste Hälfte beendete (nicht zum ersten Mal) WOLF MORRISON. Er erinnerte an den 26.10.1965, an dem die damals 16jährige Sylvia Likens nach jahrelangem Martyrium durch ihre Ziehmutter ermordet wurde. Schrei nur, kleine Sylvia. Du kannst schreien, doch es is ihnen wurscht. Deine Schreie nimmt keiner wahr. Wir baden di in siedend heißem Wasser. Das nächste Spiel heißt: Menschlicher Aschenbecher. Deinen Nachbarn ist das wurscht. Irgendwann hat sie’s nimmer geschafft. Plötzlich war’s den Nachbarn nimmer wurscht.

Bevor es in die Pause ging, erinnerte das Moderatorenteam an Angela, die 2014 und 2015 öfters am fv open mic teilgenommen hat, vor allem aber auch eine engagierte Kämpferin gegen Kindesmissbrauch war (u.a. Organisatorin der Langen Nacht gegen Gewalt und Missbrauch) und Ende September leider von uns gegangen ist. R.I.P.

Den zweiten Eisbrecher gab ANDI PIANKA mit einem schon älteren Text, der nicht auf den gerade zu Ende gegangenen, sondern auf den vorigen Wiener Wahlkampf (2010) Bezug nahm. Damals plakatierte ja der dracularisierende Zahntechniker „Mehr Mut für unser Wiener Blut!“ Da hilft es aus Sicht des Autors nur (wenn man nicht so tief fällt, dass man Blutgruppe HC negativ hätte), statt blutrünstig urinbrünztig zu sein und das Wiener Blut mit Urin zu untermalen, somit: Mehr Urin für unser Wien!

LAPIDAR (nach seiner Premiere letztes Mal zum zweiten Mal dabei) machte zuerst Werbung für sein Konzert am folgenden Tag im Cafe Concerto, bevor er dann zwei Lieder zum Besten gab – ein Cover und ein eigenes. Das erste davon war wieder „The Story“ von Brandi Carlile: So many stories of where I’ve been and how I got to where I am. But these stories don’t mean anything. Die zweite Eigenkomposition beinhaltete u.a. einen “Comeback way” mittels eines "close your eyes" und "find the way".

FRANK OZ (erstmals bei uns) wurde um 3 in der Nacht munter, worauf er zur After-Hour ins Cafe Carina fuhr, mit dem Text begann und ihn im Cafe Concerto fertigschrieb. Dieser heißt „Frühbisspätgedanken“ und handelt von seinen Erlebnissen in jener Nacht, z.b. unter seinem Arsch rollende Billardkugeln (undercover) oder in seinem Kopf tanzende Fälle (overload). Anstoß ganz zwanglos. Von fruchtlos zu furchtlos. Lichtlos zu pflichtlos. Vom Schein zum Sein. Als eine Art Zugabe sang er noch das Lied „Sassafras Roots“ von Green Day.

Der Text von THOMAS handelte (diese Geschichte erzählt die Mama ihrem Kind Kevin-Jacqueline) von Albert, dem Alpaka, und Lana, dem Lama. Albert (alles andere als alltäglich) wird von den anderen Alpaka-Kindern wegen seiner Ablehnung von Alliterationen schikaniert. Irgendwann flieht er und wird von amerikanischen Touristen mitgenommen. Doch als sie Witze über Albert Luther King reißen, läuft er auch ihnen davon. Da trifft er Lana: lasziv, lüstern, mit einem Lama-Lächeln. Sie verlieben sich und nennen ihr Kind Mozart. Und wie viel wiegt eigentlich ein Eisbär? Genug, um das Eis zu brechen!

Erstmals mit dabei und dafür gleich mit einer Kiste ausgestattet war HOFRAT KRAMURI, der eine naturnahe Geschichte erzählte: Nebel, nasses Laub, Waldweg Richtung Neuwaldegg. The 1st cow makes moo. The 2nd cow: Wow, I’m a cow! The 3rd cow: sounds like a first abstracte picture was a Kuhflade. Reife Zitronen sind gelb – und das ist gut so. Blaue Zitronen sind keine Zitronen – es könnten Zwetschken sein. Die Prise Zuckerwatte schenk ich meiner Hängematte. Poesie! Sein Vortrag wurde von einer unglaublichen Anzahl an dazupassenden Requisiten aus seiner Kiste untermalt.

Nach längerer Zeit wieder einmal da war RONNI. Er nahm Ernst Jandls berühmtes Gedicht über das velwechsern von lechts und rinks als Inspiration für die Verarbeitung seiner Erlebnisse bei einer Burschenschafter-Veranstaltung (eine für ihn als sonst in weit linken Kreisen verkehrenden doch sehr außergewöhnliche Erfahrung): Egal, ob links oder rechts, ich hab gegrüßt. Blicke, die mir bekannt aus linken Räumen waren. Im Übermut geführt zu dieser Brut. Egal, ob radikal... Die Tür zum Herz geht auf und zu.

Einen weiteren fv-open-mic-Neuling durften wir mit MICHAEL SCHAFFLER begrüßen. In seiner frei erfundenen Biographie von einem Freund sollten zwar auch Stephen Hawking, Muhammad Ali, John Wayne und Eddie „The Eagle“ Edwards vorkommen, aber vor allem ging es um ein Aufwachen (nackt, einsam) in der Wohnung seines Bruders, ohne zu wissen, wie man angesichts einer verschlossenen Wohnung überhaupt reingekommen war. Ein Gefühl wie bei Gregor Samsa. Doch zum Glück stubste ihn die Oma von der Seite: Ein Stück Kuchen? Und somit war dieser Traum zu Ende.

Schlußendlich betrat ANGYAL GYULA die Bühne, der sogleich meinte, kein Deutsch zu sprechen, aber sich dennoch beider Mikrofone bemächtigte – als Rockstar, der sich seine Lieblingsmusen am Oberarm tätowieren hat lassen. Seinen Text „Ich französiere“ las er zweisprachig (ungarisch/deutsch) bzw. fast dreisprachig (die Aussprache des Französischen imitierend), wobei der Titel auf ungarisch auch ein Wortspiel ergab, das mit oralen Sexualpraktiken zu tun hat. U.a. kam die Erkenntnis vor: Das Ziel im Wiener Wahlkampf ist nicht die Parteifarbe, sondern der Einfluss. In der dunklen Hose ist der Einfluss gold.

Somit ging auch dieses fv open mic zu Ende. Der Autor dieser Zeilen entschuldigt sich für die ungewohnte einwöchige Verspätung, was das Verfassen dieses Berichtes betrifft (die v.a. in seiner Teilnahme an der österreichischen Poetry-Slam-Meisterschaft letztes Wochenende in Innsbruck begründet ist, welche die grandiose Lisa Eckhart gewonnen hat).

Wir sehen uns am 17. November im Spektakel wieder. Am Wochenende davor können aber alle am selben Ort (also Spektakel) zu den Vorrunden der Wien-NÖ-Slam-Meisterschaft schauen, wo an einer davon (13.11., 21 Uhr) der Autor dieser Zeilen auch selber teilnimmt.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen