Samstag, 11. Februar 2017

Der 10. Geburtstag oder Dinner for Everyone

melamar & Andi Pianka
10 Jahre wird man auch nicht alle Tage, sondern nur einmal im Leben. Das gehört natürlich ordentlich gefeiert, damit der Tag zur Nacht wird und die Nacht zum Tag. Den Ehrenschutz über diese Festivität übernahm niemand geringerer als Johann Wolfgang von Goethe, somit luden wir in den nach dem Dichterfürsten benannten Hof in Wien Kaisermühlen, also (da scheiden sich die Geister, die wir riefen) - je nach Standpunkt - erstmalig entweder dies- oder jenseits der Donau. Ins Werkl in der Schüttaustraße, welche keine Schüttausstraße ist, da wir ja nicht das Bad mit dem Kinde ausschütten wollen, wo das Gänsehäufel doch so nah ist...

Doch bevor der Autor dieser Zeilen unnötig ausschweift, wird es nun an der Zeit, den Geburtstagsabend Revue passieren zu lassen:

Da die (selbstverständlich 2007 geprägte) Münze auf Kopf fiel, machte ANDI PIANKA den ersten Eisbrecher. Er geburtstagstortete mit seinem Text (auch aktuell) politisch mit einer Huldigung des Wortes, in der auch so manche Anspielungen auf das fv Open Mic (z.B. all seine bisherigen Locations) versteckt waren.

Als Startnummer 1 gezogen wurde Gastgeberin DORIS NUSSBAUMER vom Werkl, die bereits am Anfang der Veranstaltung einleitende Worte gesprochen hatte. Sie las ihren Beitrag für die Anthologie "Wir sind Frauen. Wir sind viele. Wir haben die Schnauze voll!", welche am 3.März um 19h im Werkl präsentiert wird. In ihrem Dialekttext ging es um die unterschiedlichen gesellschaftlichen Bewertungen der gleichen Dinge in Abhängigkeit davon, ob sie Männer oder Frauen machen.

Ihr folgte dann mit THOMAS MAYER ein fv-Stammgast. Seine erste Geschichte handelte von einem skurrilen Supermarktbesuch. Da er im von ihm gekauften Vogerlsalat keinen Vogel fand, ging er wieder in den Supermarkt zurück, um sich zu beschweren, wurde aber leider nicht ernst genommen. Im zweiten Text fragte er sich, wieso ihm alle den Ratschlag geben würden, doch so wie Thomas Brezina zu schreiben. Und er kam drauf: Weil sie sonst keinen anderen Autor kennen würden...

ANGYAL GYULA machte zuerst auf sein eigenes "geiles" T-Shirt und dann auf eines einer Person aus dem Publikum aufmerksam. Er outete sich als Fan der Band "Oceano". In seinem (unter Einsatz des ganzen Körpers erst in der deutschen Übersetzung, dann im ungarischen Original vorgetragenen) Gedicht war "garabonciás diák", also der "garabonzische Lehrling" (ein Zauberei-Student aus dem ungarischen Volksglauben) die Hauptfigur.

Es folgte die extra aus dem Mostviertel bzw. konkret dem Erlauftal angereiste MILENA (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Verlag, mit dem sie nichts zu tun hat). Sie las fünf Gedichte, von denen einige sehr persönlich waren, andere auch gesellschaftskritische Aspekte beinhalteten (bzw. manche beides miteinander verknüpft). Da ging es um Haus-/Friedensdrachen (nicht der einzige Drachentext an jenem Abend), Demokratie, Magie, Satzsprache zum Erbrechen und zache Tage.

ELFIE RESCH, so wie die erste Auftretende dem Werkl-Team zugehörig, brachte einen autobiographischen Text über Mehrsprachigkeit. Mit 14 wechselte sie die Schule - von Baden nach Wien, wo sie dann mehr Freiraum hatte. Dort unterhielten sich zwei Mitschülerinnen aus Hornstein im Burgenland immer auf kroatisch, was sie zur Frage führte, wieso sie in der Schule das geographisch viel entferntere Englisch lernt. Und sie ging auch auf die lange Benachteiligung burgenländischer Roma ein.

GEORG HARLEKIN ist zuletzt der treueste/häufigste Auftretende des fv Open Mic gewesen (siehe auch den Statistikteil weiter unten). Er kündigte zuerst ein baldiges zweites Buch von ihm an. Danach wurde "Mister Triptychon" seiner Tradition wieder einmal gerecht und las.........drei Texte, die im für sich allein stehenden Moment begannen, danach für lichtvolle Ketten sorgten und mit einem Seelengang endeten.
Jennifer Tough & Frank Oz

Nun wurden JENNIFER TOUGH & FRANK OZ gezogen - ein Duo aus Wien Margareten. Wie viele Personen dann tatsächlich auf der Bühne standen, wird an dieser Stelle nicht verraten ;-) Erst gab es eine Coverversion des Creedence-Clearwater-Songs "Bad Moon Rising" zu hören, der mit "Die Zeit rennt" angekündigt wurde. Danach coverte Frank Oz sich selbst, nämlich ein am Karlsplatz entstandenes Lied: This Life.

Nach diesem musikalischen Beitrag ging es dann wieder literarisch weiter. Es folgte FRANZISKA SCHERZ mit drei Texten, die zwischenmenschliche Begegnungen zum Thema hatten. Erst traf sie sich in einem Künstlerbeisl mit Yasemin. Der zweite Text befasste sich mit Abschied nehmen und von der abwesenden Person träumen. Der dritte hatte die zwischenmenschliche Wärme zum Thema.

NIKI-TA, eine häufige Teilnehmerin der Anfangszeit des fv Open Mic in der Feile, brachte - passend zum 10-Jahres-Jubiläum - zunächst einen Text, den sie 2007 geschrieben hat. Flut - Wut - Mut, so hieß es darin. Es folgten zwei weit neuere ihrer Kolumnen aus der Literaturzeitschrift "&Radieschen..." zu den Themen "Lach & Sach" bzw. "Dach & Fach", letztere davon sich mit dem Thema Schule auseinandersetzend.

Die erste Hälfte wurde dann von MIKE HOFER beschlossen, welcher zum Einstieg meinte, er hätte die letzten 14 Monate an seiner Technik gefeilt und dadurch vielleicht manche Texte vergessen. Trotzdem ging der erste Song ("Word and Hand") ohne Textverlust über die Bühne. Beim zweiten ("Destination") kam es dann aber zu einer spontanen Improvisation.
melamar

 Nun war es Zeit für eine Pause.

 Nach der Pause brach dann erstmal MELAMAR das Eis (entzwei?). Ein Siebenzeiler über (Un?)Menschlichkeit im Mittelmeer machte den Anfang. Dann war ihre Timeline dran, in der sie über die von ihr verfolgten und geteilten Nachrichten sinnierte. Der dritte und längste Text hieß "Stolpersteine meines Lebens" und erzählte vom Widerspruch zwischen ihrem schreiberischen Leben und dem "normalen" Leben anderer.




Da es langsam auf 22 Uhr zuging und ab da lautere Auftritte im Werkl nicht mehr möglich sind, wurde beschlossen, die noch auf der Liste stehenden MusikerInnen vorzuziehen. Erst kam JULIA SANTINI an die Reihe. An der einen Gitarre von sich selber, an der anderen von PATRICK WURZER begleitet, sang sie ihr Lied "Brenn mich nieder", das sie mit den Worten "Es geht um Sex" ankündigte.

Dem folgte ein Doppelauftritt von CLAUDIA & STEFAN. Erst las Claudia drei ihrer Gedichte mit den Titeln "Atmen", "Manchmal" und "Fetzenflug", die vom sich kraftlos und unsicher fühlen, aber perfekt funktionieren müssen handelten. Dann übergab sie an Stefan, dessen Lied "Lisa find zu dir" thematisch an Claudias Gedichte anschloss.

Nun war es exakt 22 Uhr geworden. Für die letzten (nur mehr literarischen) Auftritte wurden die Mikros leiser gedreht und das Publikum gebeten, seinen Beifall mittels des lautlosen Gebärdensprache-Applaus kundzutun. Als nächster an die Reihe kam dann WOLFGANG E. EIGENSINN, ein Stammgast schon seit den fv-Zeiten in der Feile. Er las einen gesellschaftskritischen Text unter dem Titel "Illusionen sind denkbar".

MICHAELA HINTERLEITNER kann auch ohne Mikro durchaus laut hörbar sein, wie sie bei ihrem zweiten Text "Ernst" (einem Publikumsbeteiligungstext) bewies. Das Publikum durfte assoziativ hineinrufen, was ihm zu "Ernst" einfiel. Davor hatte sie einen in einem Pub-Gastgarten geschriebenen Text vorgetragen, der von einem Schattenwal handelte bzw. von der Trennung zwischen dem Schatten und dem Ich.
Maria Lakshmi

MARIA LAKSHMI kündigte ihre Texte als "Vintage-Texte" an. Sie begann mit einem Traum von 1995 über eine Flussüberquerung, an der seltsame geschlechtslose Wesen leben. Ihr zweiter Text war eine Erinnerung an einen Aufenthalt an der Côte d'Azur, ebenfalls in den 90er Jahren. Es folgte ein Drachengedicht über den Drachen Dagobert. Einen weiteren Drachentext konnte sie nicht finden und versprach ihn für's nächste Mal.

Auf Deutsch, Ungarisch und Englisch folgte mit der nächsten Auftretenden die vierte Sprache des Abends, nämlich Spanisch. TANIA LEODOLTER las Gedichte, die von Regenbogen, Dämmerung, Sonnenuntergang, dem Tag und der Nacht handelten. Zu diesen Gedichten gibt es auch deutsche Übersetzungen von ihr, die aber nicht die Autorin selber vortrug, sondern diesen Part MELAMAR überließ.

Und nun näherte sich die Veranstaltung ihrem Ende. Nur noch ein Teilnehmer stand auf der Liste, nämlich IO, der den Abend mit drei Texten beschloss. Der erste, anarchistisch angehauchte, beinhaltete das Motto "Mein Schwert ist der Stift". Die beiden anderen gingen von einem fragenden Gegenüber aus ("Du fragst mich, was ist..." bzw. "Du fragst, brauchst du was...").

Damit war der künstlerische Teil des Abends zu Ende und es ging mit dem noch sehr langen geselligen Teil weiter. Wie gut, dass es Nacht-U-Bahnen gibt... ;-)


Und zum Abschluss noch ein wenig Statistik:
  
Dies war das 60. farce vivendi Open Mic. Die ersten 20 davon (19 x in der Feile, 1 x in der Lab Factory) wurden von melamar alleine organisiert und moderiert. Die folgenden 40 (1 x Arena Beisl, 9 x Das Werk, 16 x Celeste, 13 x Spektakel, 1 x Werkl im Goethehof) gemeinsam mit Andi Pianka im Duett.

Bei den bisherigen 60 Veranstaltungen traten insgesamt über 200 verschiedene Personen auf, insgesamt gab es über 600 Auftritte (also im Schnitt ist jede Person ca. 3 mal aufgetreten).

Am häufigsten aufgetreten bei den 60 Veranstaltungen (leider ist zu einer davon die Teilnehmerliste verlorengegangen, also dies anhand von 59 der 60 Abende) sind Christian Schreibmüller mit 35 Teilnahmen, gefolgt von Georg Harlekin mit 26 und Wolf Morrison mit 25. Georg Harlekin hält dafür den Rekord an Teilnahmen in ununterbrochener Reihenfolge - mit diesem fv open mic waren es 16 Auftritte hintereinander ohne eine einzige Pause :-)

Frank Oz & Jazmin del
 Campo
Die höchste Zahl an TeilnehmerInnen hatten wir 2015 beim letzten fv Open Mic im Spektakel mit 23 (die ModeratorInnen als EisbrecherInnen mit dazugezählt). An zweiter Stelle folgt der 1-Jahres-Geburtstag 2008 in der Feile mit 21 Auftretenden. Diese 10-Jahres-Feier reiht sich nun an die dritte Stelle. Andererseits gab es auch schon Veranstaltungen mit nur 5 (Oktober 2008 in der Feile), 6 (November 2013 im Celeste) oder 7 (September 2013 im Celeste) Auftritten. Der langjährige Durchschnitt ist aber trotzdem insgesamt ein klar zweistelliger :-)

Zu hören gab es bei uns bereits Beiträge auf Deutsch, Englisch, Spanisch, Romani, Serbisch, Ungarisch, Französisch, Italienisch, Arabisch, Norwegisch, Schwedisch, Litauisch (bitte um Verzeihung, falls ich auf eine Sprache vergessen habe!).

Und falls wen die Teilnehmerliste des allerersten fv Open Mic am 16.02.2007 interessiert (moderiert hat damals in der Feile melamar): Christian Schreibmüller, Andi Pianka, Peter Paul Plötzlich, Ilija Jovanović, Thomas Havlik, Arlene Ang, Michi Gabriel, Peter Gutjahr

Wie es mit farce-vivendi-Veranstaltungen heuer weitergeht - hier werdet Ihr darüber informiert.

Der Autor dieser Zeilen bittet um Verzeihung darum, dass es diesmal mit dem Bericht etwas länger gedauert hat als üblich. Aber ja, nun ist er da :-)


Fotos: Georg Harlekin

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