Mittwoch, 19. November 2014

Im Lichte der Wackelkontaktfreudigkeit



Während zur selben Zeit im Ernst-Happel-Stadion die gegeneinander spielenden österreichischen und brasilianischen Fußballer open air frieren mussten, konnte sich das ein paar Kilometer und Bezirke weiter westlich stattfindende FARCE VIVENDI OPEN MIC glücklich schätzen, sich ein Dach über dem Kopf leisten zu können. Was angesichts des novemberlichen Wetters draußen auch sehr von Vorteil war. Und das ein wenig wackelkontaktfreudige Bühnenlicht konnte dankenswerterweise (siehe weiter unten) gut kompensiert werden.

Es begann – wie immer – mit dem Münzorakel. Dieses (auch wenn es jedes Mal eine andere Münze ist) lässt seit der Übersiedlung vom Celeste ins Spektakel eine klare Vorliebe für MELAMAR als erste Eisbrecherin erkennen. Diese eröffnete in memoriam RAINER TRAMIN (1957-2014, Mitbegründer des Vereins farce vivendi) mit dem Gedicht „Schwarze Aspekte“ des kürzlich verstorbenen Autors. In diesem ging um es um die verschiedenen (u.a. auch politischen) Bedeutungen von schwarz. Dem folgten drei eigene Gedichte melamars über missglückte Liebe, Liebeswissenschaft und die Weiterentwicklungen von Worten.

Wie der Zufall (oder sonst eine Kraft) es so wollte, wurde THOMAS MAYER nun zum dritten(!) Mal in Folge mit der Startnummer 1 gezogen (welche er aber – im Unterschied zu manchen SlammerInnen – durchaus gerne hat). Einem düsteren Text über einen Diplomaten, der um den Frieden zu erhalten, in einem Bordell fündig wird, folgte ein zynischer über einen Tag, an dem nichts passiert und deswegen in den Nachrichten Schreckensmeldungen erfunden werden müssen (mitsamt dem Wetterbericht „Der Himmel ist einsturzgefährdet“) und schließlich einer über seine Katze, die dem Autor Frühstück ans Bett (in Gestalt einer toten Maus) bringt.

Ebenfalls drei Texte (diese Zahl ist bei ihm bereits gute Tradition) gab es von GEORG HARLEKIN zu hören. Zunächst wurde ein weißer Punkt in einer bunten Welt zu einem schwarzen Punkt. Doch rundum erneuert roch er plötzlich wieder Farben und tauchte in eine noch größere bunte Welt ein. Dem folgte als zweites Gedicht ein Schock („Knock, knock, es rockt der Schock) über volksverblödende Gratiszeitungsenten mit einer abschließenden Danksagung an das Buch bzw. an Oscar Wilde. Das dritte Gedicht war ein Cash-Gewäsch über Klarsichtsklassen: Sagt einfach nein!

Wie der Zufall (an den man in so einem Moment gar nicht mehr zu glauben vermag) es so wollte, durften genau jene drei Künstler, deren geäußerte Hoffnung es war, möglichst früh gelost zu werden, auch als erste drei auftreten. Als Nummer 3 WOLF MORRISON, diesmal nach einigen Keyboard-Auftritten bei den letzten open mics wieder mit Gitarre. Im ersten Lied hieß es „Du bist wia a Kaktus in der Wüste, der grad blüht“. Es ging u.a. um Anpassung. Das zweite war von Ludwig Hirsch inspiriert und handelte von einer fiktiven Beziehung mit einer reellen (vergebenen) Frau.

Ebenfalls mit Gitarre kam STEFAN PETER (dem wir übrigens für sein mit- und angebrachtes Lämpchen danken, das angesichts kleiner Probleme mit der Bühnenbeleuchtung eine große Hilfe war) auf die Bühne. Sein Lied „Wie viel Hölle noch?“ war als eine Art melancholischer Kontrast zu seinem (bei einem früheren fv open mic vorgetragenen) Selbstmordberatungssketch gedacht. „Komm, steh auf, Wolken ziehen auf“, während das lyrische Ich des Liedes lieber in Ruhe gelassen werden möchte. Doch es ist nichts verloren – „lerne zu verstehen“.

Wie auch beim parallel laufenden Fußballspiel, so trennte auch beim fv open mic die beiden Hälften eine ca. viertelstündige PAUSE.

Den zweiten Eisbrecher gab ANDI PIANKA. Nach einer kritischen Betrachtung von Laudationes bei literarischen Preisverleihungen (bei denen man manchmal den Eindruck gewinnt, den LaudatorInnen ginge es primär um ihre eigenen „15 minutes of fame“) und einem von einem Einkauf in einem skandinavischen Möbelgeschäft inspirierten Gedicht, bei dem er „fyndig“ wurde, drehte er die Zeit ein Vierteljahrhundert zurück und las aus einem eigenen Schulaufsatz über eine Reise ins ungarische Sopron.

Erstmals mit dabei beim fv open mic war bzw. in der Pause spontan angemeldet hat sich SUSANNE RÖDL mit ihrem Plädoyer für den Wiener Dialekt, das sie in Form von zwei Texten und einem Lied hielt. Im ersten Text ging es um die Suche nach schadstofffreien Plastikflaschen, passenden Schuhbandln oder Kopfhörerkabeln, die sich automatisch aufrollen. Der zweite behandelte den U-Bahn-Alltag (u.a. die Blitzgneißer, die wie angewachsen bei der Tür stehen). Ihren Auftritt beendete sie mit einer von ihr auf wienerisch verfassten Cover-Version des Klassikers „Autumn leaves“ (Da Herbst is da, die Blattln fall’n...).

WOLFGANG E. EIGENSINN las aus seinem mittlerweile vergriffenen Buch „Die Archive des Eigensinns“, nämlich zuerst dessen Vorwort. Dieses handelt vom (unberechenbaren, scheuen, undurchschaubaren) Wesen eines Schriftstellers, welchen dubiose Personen gerne als Haustier oder Hofnarr halten würden. Er frönt dem Exzess, durchstreift Städte & Länder, spricht mit Hunden und ist verdreckt, während dem Journalisten eine Sorgfaltspflicht obliegt. Dem folgte – aus demselben Buch – ein Ausschnitt aus dem Text „Undisputed consequences / eindeutige Auswirkungen“ über die immer ewige letzte Instanz.

Ein Stammgast beim fv open mic ist mittlerweile MIKE HOFER, der, wie es der Zufall so wollte, wie schon im Oktober als (zumindest scheinbar, denn es kam schlussendlich doch ein wenig anders – dazu gleich) letzter Auftretender gezogen wurde. Sich auf seiner Gitarre begleitend, erzählte er, der er „gar nicht ein Beziehungsmodell“ ist, von einer Frau, die er kennt und die Interesse an ihm hat, ihm aber fast nur auf die Nerven geht, da sie’s immer falsch macht und ihm nie zuhört. Es folgte u.a. der Satz „Liebe kann mir auf die Nerven gehen.“

Nachdem bereits die abschließenden Worte der ModeratorInnen gesprochen waren und diese im Begriff waren, die Bühne zu verlassen, stürmte ANGYAL GYULA hinein, der soeben von einem Poetry Slam kam, bei welchem er den dritten Platz belegt hatte, und begehrte, noch auftreten zu dürfen. Das wurde ihm auch gestattet. Sein Text handelte vom Unwissen über die richtige Aussprache des Ortes Leoben (Löben?) und zitierte dieser Stadt berühmtesten Sohn Tschif: „In Löben leben Pöeten“. Wikipedia und seiner eigenen Blödheit vertraue er immer, seine Stadt wäre Szigetszentmiklós (=SSM =sodomischer Sado-Masochist). Loeben? J.Lo – eben!

So ging das dritte fv open mic im Spektakel zu Ende. Diesmal mit pünktlicherem Beginn als die letzten Male – was wir auch in Hinkunft beibehalten möchten. Die nächste diesbezügliche Hinkunft wird der 16. Dezember sein. Und auch wenn die Anmeldung am Auftrittstag vor Ort erfolgt, so gibt es bereits jetzt einige mündliche Auftrittsabsichtsbekundungen. Wir sind schon gespannt, mit welchen Darbietungen wir im Dezember beschenkt werden.

2 Kommentare:

  1. „In Löben leben Pöeten“

    ich dachte, da lebten pöten!

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  2. man bringe mir anstatt des gössias einen spritzwein, wenn ich mich irre, aber meinen aufzeichnungen nach fielen die worte aus des magyaren mund so, wie ich sie hier oberhalb niederschrub. abgesehen davon hat "pöeten" einen wesentlich schöneren klang als "pöten". sonst würden wir bereits in der nähe des heiligen pölten landen. zwar auch eine slamstadt (eine für den autor dieser zeilen besonders erfolgreiche noch dazu), aber mit ganz anderen vorzügen. löben liegt ja auch nicht in löbyen, sondern in der sankt eiermark. wo kämen wir da hin, wenn wir pöeten alle pöten wären...brrrr...

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